Die Bluterbin (German Edition)
ich Euch erst an Eure Pflicht, den Kranken gegenüber Barmherzigkeit zu zeigen, erinnern? Wie könnt Ihr glauben, dass ich mich erholen kann, solange dieses Mädchen dringend unserer Hilfe bedarf?“, fragte er in einem eisigen Tonfall.
Das glatte Gesicht des Bischofs verzog sich ungläubig und nahm dann augenblicklich einen unterwürfigen Ausdruck an, den Joinville ihm allerdings überhaupt nicht abnahm. „Verzeiht, Sire, doch ich konnte nicht wissen, dass Euch das Mädchen so viel bedeutet. Ich werde selbstverständlich sofort nach dem Medicus schicken“, beschied er eifrig.
Er winkte den Sakristan zu sich heran und erteilte ihm rasch einige Befehle. Der Sakristan nickte zustimmend und verschwand dann wieder in Richtung Sakristei.
Radulfus wandte sich erneut dem König zu.
In diesem Moment betrat Robert de Forez die Kathedrale.
Suchend sah er sich nach Marie um, nachdem er vergeblich am Portal auf sie gewartet hatte. Als er sie jetzt auf dem kalten Steinboden im Mittelgang liegen sah, stürzte er besorgt auf sie zu, ohne die drei Männer, die neben ihr standen, weiter zu beachten. Er bückte sich zu Marie hinunter, um sie auf seine Arme zu nehmen und sie nach draußen zu tragen, doch König Ludwig hielt ihn zurück.
„Wer seid Ihr, und was habt Ihr mit dem Mädchen zu tun?“, fragte er ihn in einem scharfen Ton.
„Mein Name ist Robert de Forez. Ich kenne Marie und werde sie nach Hause bringen. Ihre Familie weiß, was zu tun ist, wenn sie von den Krämpfen befallen wird“, antwortete er entschlossen, wobei er Marie mühelos hochhob und schon mit ihr an den Männern vorbeieilen wollte, doch der König dachte nicht daran, ihn so ohne Weiteres gehen zu lassen.
„Wer ist dieses Mädchen?“, fragte er leise.
„Ihr Name ist Marie Machaut, und sie ist die Tochter von Jean Machaut, einem Tuchhändler, der nicht weit von hier sein Haus hat. Würdet Ihr jetzt bitte zur Seite treten und mich vorbeilassen?“
„Ihr solltet besser einen anderen Ton anschlagen, immerhin sprecht Ihr gerade mit dem König von Frankreich“, bemerkte Radulfus trocken. Erschrocken sah Robert den König an.
„Verzeiht mir, Sire, aber ich mache mir große Sorgen um Marie und konnte nicht wissen, wer Ihr seid.“
„Es ist gut“, gab der König zur Antwort. „Auch ich bin in großer Sorge um dieses Mädchen und habe nach dem besten Medicus der Stadt schicken lassen.“
Robert zögerte. Wie war es nur möglich, dass Marie dem König so wichtig war, dass er sogar nach einem Medicus rufen ließ? Ein Anflug von Eifersucht stieg in ihm hoch, als er Ludwig genauer betrachtete. Der König war ein ungewöhnlich gut aussehender Mann mit feinen, scharf geschnittenen Gesichtszügen. Zudem besaß er eine faszinierende Ausstrahlung, der man sich nur schwer entziehen konnte.
Marie hing leblos in Roberts Armen. Ihre Krämpfe hatten nachgelassen, und ihre weit geöffneten Augen blickten nunmehr starr nach oben. Ihr Atem ging flach, und die Angst um sie verlieh Robert neue Kräfte. Er nahm all seinen Mut zusammen.
Bittend wandte er sich erneut an König Ludwig.
„Bitte erlaubt mir, sie nach Hause zu bringen, Sire.
Dort wird man sich um sie kümmern. Es ist nicht das erste Mal, dass sie von dieser merkwürdigen Krankheit befallen wird.“
Der junge Mann schien Ludwig ernstlich besorgt zu sein.
Währenddessen beobachtete Radulfus die Szene mit zusammengekniffenen Augen.
König Ludwig trat näher an Robert heran.
„Ihr habt meine Erlaubnis, doch wartet noch einen kleinen Moment.“
Einer plötzlichen Eingebung folgend zog er seinen goldenen, rubinbesetzten Ring von seinem kleinen Finger und steckte ihn an Maries rechte Hand, die leblos herabhing.
Dabei sah er Robert eindringlich in die Augen.
„Dieses Mädchen hat mich wie durch ein Wunder von meinen Schmerzen befreit. Sollte es jemals meine Hilfe brauchen, dann zögert nicht, mir den Ring zukommen zu lassen. Er wird mich für immer an den Tag erinnern, an dem mir Gott eine große Gnade gewährt hat.“
Seine Worte klangen wie ein Schwur.
Radulfus nahm es erstaunt zur Kenntnis. Wie kam der König dazu, einem Mädchen, das eindeutig von Dämonen besessen war, einen solch kostbaren Ring zu schenken? Und was war das für ein Wunder, von dem der König gesprochen hatte? Erst jetzt musterte er Marie genauer. Ihr Gesicht wirkte entspannt, und sie sah aus, als würde sie schlafen. Das Mädchen besaß die unschuldige Schönheit einer Madonna, und nachdem er sie eine Weile betrachtet hatte,
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