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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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weiß es nicht“, antwortete ihr Robert. „Vielleicht irgendwann einmal.“
    Maries Frage brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Bis jetzt hatte er sich noch keine Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen sollte. Marie zu beschützen und in ihrer Nähe zu sein, war ihm genug gewesen.
    Er dachte an seine Mutter, die er liebte und verehrte. Seine Familie würde sich um ihn sorgen, genauso, wie sich Maries Familie um ihre verschwundene Tochter sorgen würde.
    „Wir werden nach Flandern gehen“, sagte er zu Marie, die ihn so vertrauensvoll ansah, dass ihm ganz warm wurde. „In der Burg meines Onkels, des Grafen von Artois, werden wir vor dem Bischof sicher sein und können unseren Familien von dort aus sofort eine Nachricht zukommen lassen.“
    Er war froh, dass Marie den Schock über ihre Entführung langsam zu überwinden schien und sich für die Zukunft zu interessieren begann.
    Die Tage waren bereits warm, und auch in den Nächten kühlte es nicht mehr allzu stark ab. Es war die Jahreszeit des Reisens, und so würde es nicht allzu schwer sein, sich irgendwann unter den Strom der Pilger und Kaufleute zu mischen, um unter ihrem Schutz weiterzuziehen und unerkannt das Land zu verlassen.
    Robert orientierte sich am Stand und Lauf der Sonne am Himmel und führte Marie ohne übermäßige Eile weiter in Richtung Norden, wo das Land wieder flacher wurde. Ihre Vorräte waren fast aufgezehrt, und Robert wusste, dass sie bald eines der kleinen Dörfer aufsuchen mussten, die nicht mehr als eine Tagesreise voneinander entfernt die Handelsstraße säumten.

23
    Radulfus’ Handflächen waren feucht vor Erregung, als er die Treppe zum Geheimgang hinunterstieg. In seinen Händen hielt er ein weißes Gewand, das an den Rändern mit einer kostbaren golddurchwirkten Bordüre gesäumt war.
    Er konnte es kaum erwarten, Marie in diesem Kleid zu sehen. Ihre jungfräuliche Haut würde, einem Engel gleich, mit dem Weiß des Gewandes verschmelzen. Vor der Türe angekommen, sah er ihre Augen vor sich, diese verfluchten dunklen Augen, in denen, so glaubte er, ihr Geheimnis verborgen lag. Er zog den Riegel zurück und öffnete die Türe.
    Doch der Raum war leer. Er weigerte sich zu glauben, was er sah. Aber es gab keinen Zweifel, Marie war verschwunden. Es durfte einfach nicht sein. Vollkommen außer sich schüttelte er immer wieder den Kopf. Dann sprang er blitzschnell zurück und ließ die Türe krachend hinter sich zufallen. Regungslos stand er im Dunkeln.
    Nein, es konnte nicht sein. Eine Flucht war einfach unmöglich. Es sei denn, irgendjemand hätte dem Mädchen dabei geholfen. Doch wer konnte das gewesen sein?
    Langsam wurde ihm klar, dass er Bruder Gregor unterschätzt hatte. Er hatte Entsetzen geheuchelt, als man ihm von dessen Tod berichtet hatte, und anschließend die Schändlichkeit dieser frevelhaften Tat mit scharfen Worten verurteilt. Warum hatte er ihn nur nicht schon früher aus dem Weg geschafft? In ohnmächtiger Wut ballten sich seine Hände zu Fäusten.
    Aufgewühlt verließ er das Verlies und hastete durch den dunklen Gang in Richtung Krypta. Die Türe war verschlossen, und niemand außer ihm besaß einen Schlüssel zu dem geheimen Gang. Bruder Gregor musste sich also irgendwie an der Wache vor seiner Türe vorbeigeschlichen haben. Aber dann fiel ihm ein, dass der Sakristan zum Zeitpunkt von Maries Flucht längst tot gewesen war. Oder etwa doch nicht?
    Seine Augen quollen ihm aus den Höhlen, als sich die Angst wie ein eiserner Ring um sein Herz legte. Ob Bruder Gregors Geist etwa zurückgekommen war, um sich an ihm zu rächen?
    So schnell er konnte, verließ er den geheimen Gang und verschloss mit zitternden Händen die Tür. Wieder in seinen Gemächern angekommen, ließ er sich auf einen Stuhl fallen und starrte blicklos vor sich hin.
    Das war das Ende. Seine Seele war unwiderruflich verloren. Die Dämonen der Hölle konnten nun ungehindert nach ihm greifen, und Bilder des Schreckens tauchten vor seinem geistigen Auge auf.
    Ein Geräusch drang an seine Ohren, es hörte sich an wie das Knistern von brennenden Holzscheiten. Unaufhaltsam kam es näher. Er wollte aufspringen, um zu fliehen, doch seine Beine versagten ihm den Dienst, und es war ihm unmöglich, aufzustehen. Der Blasebalg unter dem riesigen Kessel wurde zusammengedrückt. Auf und nieder, schneller und schneller. Sein Pfeifen und Stöhnen schwoll an. Er spürte die unerträgliche Hitze der züngelnden Flammen, die unbarmherzig nach seinem Leib griffen,

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