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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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ausführen, so wie er bis jetzt noch jeden Auftrag zu Ende geführt hatte. Selbst wenn die beiden die großen Wege mieden, waren sie dennoch gezwungen, zwischendurch in einem der Dörfer oder Bauernhäuser etwas zu essen zu besorgen.
    Otto war davon überzeugt, ihr Ziel zu kennen und früher oder später auf sie zu stoßen. Er trieb sein Pferd an einigen Ochsenwagen vorbei. Obwohl es noch früh am Morgen war, waren bereits viele Reisende unterwegs. Aufmerksam beobachtete er die Menschen, an denen er vorbeiritt. Unzählige Pilger hatten sich auf den beschwerlichen Weg gemacht, um nach Santiago de Compostela zu reisen und dort das Grab des heiligen Jakobus zu besuchen.
    Einzeln oder im Schutz einer für die Dauer der Reise gebildeten Gemeinschaft wanderten sie barfuß und ungewaschen von einer der überfüllten Unterkünfte zur nächsten und nahmen die dortigen Wanzen und Flöhe auf ihre weitere Reise mit.
    Nachdem Otto eine kurze Pause gemacht hatte und sein Pferd wieder besteigen wollte, riss ihm der Sattelgurt, und er landete unsanft auf dem Boden. Er fluchte laut, was ihm vorwurfsvolle Blicke seitens der Pilger eintrug. Leiser schimpfend legte er deshalb den Sattel wieder auf den Rücken des Pferdes und führte es am Zügel weiter. Er konnte nur hoffen, dass er gleich im nächsten Ort einen Sattler finden würde.
    Gegen Mittag waren seine Füße von dem ungewohnten Laufen in den Reitstiefeln so wund, dass er die Stiefel ausziehen und barfuß weitergehen musste. Seine Stimmung hob sich erst wieder etwas, als er von Weitem die Dächer einiger Häuser vor sich auftauchen sah. Den ganzen Tag über hatte es geregnet, und der Himmel war von gleichbleibendem Grau gewesen. Jetzt schob sich von Osten eine dunkle Wolkenwand näher, die mit jedem Augenblick bedrohlicher aussah. Die Menschen vor ihm warfen ängstliche Blicke nach oben und begannen zu rennen. Sogar die Bauern trieben ihre Ochsen zur Eile an. Alle wollten die schützenden Häuser noch vor Einbruch des zu erwartenden Unwetters erreichen.
    Von einem Moment auf den anderen wurde es stockfinster, und ein tiefes Grollen ließ die Luft erbeben. Die Menschen duckten sich ängstlich und begannen noch während des Laufens zu beten.
    Das Grollen schwoll immer mehr an, bis es sich schließlich in einem lauten Krachen entlud. Gleißende Blitze zuckten über das Firmament, dann öffnete der Himmel seine Schleusen und entließ seine Wassermassen auf die Erde.
    Als Otto endlich das Dorf erreichte, war er bis auf die Haut durchnässt.
    Die Pilger drängten sich in die kleine Holzkapelle und baten Gott, sich ihrer Seele zu erbarmen, überzeugt davon, dass das Ende der Welt nahen würde.
    Otto betrat hingegen die hoffnungslos überfüllte Schenke und fragte den Wirt nach einem Sattler. Er hatte Glück, denn die Werkstatt des Sattlers lag nur wenige Häuser von der Schenke entfernt.
    Sofort machte er sich auf den Weg.
    Das grob zusammengezimmerte Holztor der Werkstatt stand halb offen. Er band das Pferd an einen mickrigen Apfelbaum neben dem Tor fest, nahm den Sattel und betrat damit die Werkstatt.
    Es roch nach Leder, Fett und Leim.
    Meister Raymond sah von seiner Arbeit auf. Seine Hände hatten die Größe von Schaufeln, und graue Haare umwallten sein faltiges Gesicht. Otto murmelte einen knappen Gruß und ließ den schweren Sattel vor ihm auf den Boden fallen.
    „Der Gurt ist gerissen, sieh zu, dass du ihn repariert kriegst, denn ich muss morgen gleich in aller Frühe weiter. Und treib den Preis nicht zu hoch.“
    „Wenn ich Euch den Gurt repariert habe, geht Euer Pferd eher an Altersschwäche ein, als dass er noch einmal reißt. Das sollte Euch das Geld schon wert sein. Ich verlange zwei Sous im Voraus“, erwiderte der Meister ungerührt.
    Otto gab ihm die geforderten Münzen.
    Meister Raymond nahm sie und schlurfte zu seinem Nähross.
    „Schafft mir den Sattel hierher“, forderte er. „Der Junge ist mal wieder verschwunden, und ich hab’s im Kreuz.“
    Otto bückte sich danach und schleifte den Sattel zu dem kleinen Nähross, auf dem sich der Meister bereits rittlings niedergelassen hatte.
    „Muss wohl ein Stück dransetzen“, murmelte er. Er griff zum Halbmond und begradigte mit zwei kurzen Schnitten den Riss. Dann nahm er ein neues Stück Riemen und schnitt ihn so zu, dass er die durchgebrochene Stelle auf beiden Seiten jeweils um eine Handbreit überlappte. Anschließend dünnte er Sattelgurt und Riemen zu den Enden hin aus, damit die reparierte Stelle später

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