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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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nicht dicker sein würde, als der Gurt es war. Er legte die Gurtstücke auf den Flickriemen und richtete sie aus.
    Auf dem Ofen hielt er immer einen Topf Hartleim am Kochen. Mit einem Pinsel trug er den heißen Leim auf und presste alles zusammen, bevor er den Gurt zwischen die Klemmbacken des Nährosses legte und festdrehte.
    Otto hatte Mantel und Hut abgelegt und zum Trocknen über den Ofen gehängt. Während er zusah, wie der Meister nach der Rolle mit dem Leinenfaden griff, von dem er eine doppelte Armspanne abschnitt und geschickt zu einer Kordel drehte, überlegte er, wo er am besten übernachten konnte. Die Herbergen würden mittlerweile zum Bersten voll sein. Am besten wäre es, hierzubleiben.
    Der Meister zog eine Ahle aus seiner Lederschürze und begann mit dem Nähen. Mit einer kräftigen Bewegung durchstieß er mit der Ahle das beinahe fingerdicke Leder. Dann zog er das Eisen mit einer Gegenbewegung wieder heraus und schob gleichzeitig von links die Nadel durch das Loch. Er zog den Faden bis zur Hälfte hindurch, dann setzte er den zweiten Stich. Nadel von links, zweite Nadel von rechts, ein Überhandknoten, der genau im Stich festgezogen wurde. Er arbeitete schnell und sicher. Zum Abschluss klopfte er die Nähte nochmals mit dem Hammer fest. Danach war weder eine Stufe noch ein Übergang mehr zu spüren. Zufrieden sah er Otto an.
    „Wie ich Euch sagte, der reißt nicht mehr.“
    „Gute Arbeit“, bestätigte Otto und zwang sich zu einem Lächeln.
    „Sagt, wäre es möglich, hier bei Euch zu übernachten?“ Er beförderte zwei weitere Sous aus seinem Beutel und hielt sie Meister Raymond entgegen. Der Sattler nickte.
    „Ich kann Euch Brot, Käse und einen Krug Wein geben, und Ihr könnt es Euch neben dem Ofen gerne bequem machen.“
    Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen lauten Pfiff aus.
    Nur wenig später erschien ein rothaariger Junge mit einer breiten Narbe auf der Stirn.
    „Stell das Pferd unseres Gastes in den Stall und vergiss nicht, ihm auch etwas Heu zu geben und es zu tränken. Danach bring uns Brot, Wein und ein Stück von dem Käse“, befahl er.
    Gehorsam brachte der Junge das Gewünschte und ließ sich neben seinem Meister auf dem Boden nieder.
    Otto ließ sich nicht lange bitten und machte sich hungrig über Käse und Brot her.
    „Ich bin auf der Suche nach einem Mädchen“, begann er mit vollem Mund. „Sie hat dunkelbraunes Haar, dunkle Augen und eine auffallend helle Haut. Habt Ihr sie vielleicht gesehen?“ Meister Raymond schüttelte den Kopf.
    „Ich komme selten aus der Werkstatt heraus, da müsst Ihr schon den Jungen fragen, der treibt sich ständig draußen herum.“ Ein leiser Vorwurf klang in seiner Stimme.
    Otto sah den Jungen an, doch der schüttelte ebenfalls verneinend den Kopf. Ein verklärtes Lächeln hatte sich über sein Gesicht gelegt, das Otto jedoch nicht bemerkte, denn er hatte sich schon längst wieder dem Sattler zugewandt.
    Vor den Augen des Jungen tauchte das Bild des Engels auf, der seine Hand im letzten Moment vor dem Schwert des Henkers gerettet und sein Leben verändert hatte.
    Seit diesem Tag war er kein Dieb und Beutelschneider mehr. Er hatte sich aufgemacht, um ein ehrliches Leben außerhalb der Stadt zu führen, und war durch eine glückliche Fügung bei Meister Raymond gelandet, der ihn ohne viele Worte aufgenommen hatte und wie ein Vater zu ihm war.
    Jede Nacht träumte er von dem Mädchen, das so schön war wie kein anderes, das er jemals gesehen hatte. Im Traum streichelte sie ihm zärtlich übers Haar. Sie duftete nach Rosen und war so rein wie die Heilige Jungfrau. Wenn er dann morgens erwachte, brannten Tränen der Sehnsucht in seinen Augen.
    Instinktiv spürte er, dass der strohblonde Kerl mit dem verschlagenen Gesicht eine Bedrohung für sie darstellte. Daher musste er sie vor ihm schützen, so wie sie damals ihn vor dem Büttel beschützt hatte.
    Am nächsten Morgen befragte Otto noch einige Händler nach Marie, dann sattelte er sein Pferd und ritt weiter. Währenddessen schürte Meister Raymond das Feuer, damit der Leim kochen konnte, und schimpfte leise vor sich hin.
    Der Junge war schon wieder verschwunden. Es war zum Haareausreißen. Doch er hatte nun einmal einen Narren an ihm gefressen. Denn wenn er gerade nicht einmal herumstromerte, war er geschickt und fleißig und erwärmte außerdem sein altes Herz.
    Der Fuzz, wie er von den Leuten gerufen wurde, seitdem er denken konnte, war schon lange vor Otto aufgestanden und

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