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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nichts, Kind«, sagte Maria rasch. »Es ist nur ein
dummer Tonkrug. Beruhige dich.«
Elenja beruhigte sich nicht, sondern ließ sich immer aufgeregter
neben Andrej auf die Knie sinken und begann die Scherben mit den
bloßen Fingern aufzusammeln. »Es tut mir Leid«, stammelte sie.
»Bitte verzeiht mir, Herrin. Ich mache es wieder gut. Ihr könnt es mir
von meinem Lohn abziehen, oder… oder ich arbeite dafür an meinem freien Tag, und… und…« Sie begann zu stammeln und hob die
linke Hand vor den Mund, um das Schluchzen zurückzuhalten.
»Du armes Kind«, sagte Maria mitfühlend. Sie ließ sich neben dem
Mädchen in die Hocke sinken, nahm ihr behutsam die Scherben aus
der Hand und zog sie dann mit sanfter Gewalt in die Höhe. »Vergiss
jetzt diesen hässlichen Krug. Er hat mir sowieso nie gefallen. Ich
habe schon ein paar Mal überlegt, ihn wegzuwerfen.«
»Ihr… Ihr dürft mich nicht wegschicken, Herrin«, flehte Elenja. Sie
musste sich an einem Splitter geschnitten haben. Ihre linke Hand war
blutig, und auch ihre Lippen schimmerten rot.
Der Anblick weckte unangenehme Erinnerungen in Andrej. Er
musste sich umdrehen, damit er ihre blutverschmierten Lippen nicht
mehr sah.
»Was redest du nur für einen Unsinn, Kind?«, fragte Maria in deutlich strengerem Ton. »Ich habe nicht vor, dich wegzuschicken, schon
gar nicht wegen eines albernen Kruges!«
Andrej nahm all seine Kraft zusammen und drehte sich wieder um.
Er wünschte sich, er hätte es nicht getan.
Maria hatte das Mädchen in die Arme geschlossen. Die linke Hand
hatte sie unter Elenjas Kinn gelegt und ihren Kopf angehoben. Ihr
Gesicht näherte sich dem des Mädchens, wie um tröstend ihre Wange
gegen Elenjas zu legen.
Stattdessen berührten ihre Lippen die des Mädchens. Ihre Zunge
glitt zwischen ihren ebenmäßigen, weißen Zähnen hervor und tastete
über die Lippen des Mädchens. Sie liebkoste ihre Mundwinkel und
den sinnlichen Schwung ihrer Oberlippe. Aber es war kein Kuss,
weder ein tröstender noch ein freundschaftlicher.
Marias Zunge suchte das Blut, mit dem Elenja ihre Lippen benetzt
hatte.
Der Anblick war mehr, als Andrej ertragen konnte. Ihm war, als
könne er das Blut schmecken, die verlockende, warme Süße, so kostbar und berauschend.
Der Käfig in seinem Inneren begann zu bersten. Die Ketten, mit
denen er die Bestie tief in sich über so viele Jahre gefesselt hatte,
wurden mürbe. Noch hielten sie, aber der Anblick dessen, was Maria
tat, begann sie rasch und lautlos aufzulösen wie Säure, der nichts
widerstehen konnte. Obwohl ihm das bewusst war, war es ihm doch
vollkommen unmöglich, den Blick von Marias schrecklichem Tun zu
lösen.
»Was… tust du… da?«, krächzte er mühsam.
Maria drehte langsam den Kopf. Ihre Augen leuchteten in einem
düsteren Gelb. »Ich versuche nur, ihr ein wenig zu helfen«, sagte sie.
»Warum gehst du nicht schon einmal nach oben und wartest auf
mich? Ich komme gleich nach.«
Andrej konnte nicht antworten. Marias Zunge glitt wie ein kleines,
von eigenem Willen erfülltes Lebewesen über ihre Lippen, fand noch
einen winzigen Tropfen des kostbaren roten Elixiers und leckte ihn
auf. Andrejs Hände begannen zu zittern. Das Ungeheuer zerrte heftiger an seinen Ketten, und er spürte, wie die Gier in ihm wuchs.
Andrej blinzelte, und mit einem Schlag waren Marias Augen wieder normal. Auf ihren Lippen befand sich kein Blut, und sie stand gut
zwei Schritte von Elenja entfernt, die ihn verwirrt und ängstlich
zugleich ansah.
Andrej fuhr herum, flüchtete aus dem Raum und stürmte, immer
mehrere Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf.
    Andrej vermochte nicht zu sagen, wie lange es dauerte, bis Maria
ihm folgte, oder was er in dieser Zeit getan und gedacht hatte. Er war
aufgewühlt und erregt wie selten zuvor. Als sich die Tür endlich öffnete und Maria hereinkam, fand er sich selbst auf den Knien vor dem
Kamin hockend wieder und hatte die zitternden Hände über den
Flammen ausgestreckt. Seine Finger schmerzten. Er hatte sich eine
ganze Reihe schwerer Verbrennungen zugezogen, ohne es zu merken. Selbst der Stoff seines Mantels war angesengt. Trotzdem fror er
erbärmlich. Als er die Hände zurückzog und die Finger zu krümmen
versuchte, gelang es ihm kaum, was aber nicht an den Brandwunden
lag, sondern an der Kälte, die in seine Glieder gekrochen war.
    »Was tust du denn da?«, fragte Maria. Ihre Augenbrauen zogen sich
besorgt zusammen, als ihr Blick über seine versengten

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