Die Blutgraefin
Schritte zum Stall hin. Im hellen Tageslicht kam
ihm das Gebäude noch schäbiger vor, und die Erinnerung an das
graue Zwielicht, das ihn am Tag zuvor verwirrt hatte, ließ ihn stocken. Als ihm klar wurde, wie töricht er sich benahm, ging er trotzig
weiter.
Maria war nicht im Stall. Statt ihrer stand eine hoch gewachsene,
schlanke Gestalt in einem weißen Mantel und mit schulterlangem,
weißem Haar vor dem Pferd und versuchte mit mehr gutem Willen
als Geschick, ihm einen Futtersack umzubinden, was allerdings kläglich scheiterte. Der Hengst warf immer wieder nervös den Kopf zurück oder versuchte zu beißen. Als Blanche ihm unvorsichtigerweise
zu nahe kam, schlug das Pferd mit den Hinterläufen aus und versetzte ihm einen Tritt, der ihn gegen die Wand schleuderte.
»Habe ich Euch schon gesagt, dass er keine Fremden mag?«, fragte
Andrej, während er ohne Mitgefühl zusah, wie sich Blanche auf die
Knie hochstemmte und mit schmerzhaft verzogener Miene die Hand
gegen den Leib presste.
»Da geht es dem Mistvieh genau wie mir«, erwiderte er mit verzerrtem Gesicht. »Obwohl ich bei deinem Tier vielleicht eine Ausnahme
machen könnte.« Er stand auf und versetzte dem Futtersack einen
wütenden Tritt. »Gut durchgebraten und mit einer schmackhaften
Sauce könnte es mir beinahe sympathisch sein.«
Andrej lachte, hob den Sack auf und ging damit zu seinem Pferd.
Zunächst versuchte der Hengst auch nach ihm zu schnappen, beruhigte sich aber dann und ließ zu, dass Andrej ihm den Hafersack umband. Er wartete, bis das Tier zu fressen begonnen hatte, dann begann er ihm über den Hals zu streichen. Der Hengst beruhigte sich
zusehends, nur sein Schweif peitschte immer noch von einer Seite
zur anderen. Er ließ den Weißhaarigen nicht aus den Augen, während
er fraß.
»Wusstet Ihr, dass manche Pferde ganz ausgezeichnete Menschenkenner sind?«, fragte Andrej, ohne sich zu Blanche umzudrehen.
»Sie spüren instinktiv, ob es einer gut mit ihnen meint oder nicht.«
»Dann wundert es mich nicht, dass er mich beinahe umgebracht
hätte«, knurrte Blanche. »Euer Hengst hat mir ein paar Rippen eingetreten.«
»Das tut mir Leid«, bedauerte Andrej.
»Was? Dass es nicht mein Schädel war?«, entgegnete Blanche verächtlich.
Andrej drehte sich widerstrebend zu ihm um. Der Hengst hatte
Blanche härter getroffen, als er gedacht hatte. Das lederne Wams des
Weißhaarigen war zerrissen und blutbesudelt, seine Mundwinkel
zuckten vor Schmerz.
»Das hätte doch auch nichts geändert, oder?«, fragte er.
»Es wäre nicht eben angenehm für mich«, antwortete Blanche achselzuckend. »Aber das wäre auch schon alles.«
»Schade«, sagte Andrej mit übertriebener Enttäuschung. Er seufzte.
»Dann muss ich mir halt ein anderes Reittier zulegen. Vielleicht einen Elefanten. Oder seid Ihr auf Euren Reisen in ferne Länder vielleicht Tieren begegnet, die noch größere Füße haben? Ich bin für
einen guten Rat immer dankbar.«
»Ihr seid sehr witzig«, sagte Blanche. Er nahm die Hand von der
Brust. Die Wunde hatte aufgehört zu bluten. Selbst der Riss in seinem Wams schien sich zu schließen, auch wenn Andrej wusste, dass
das unmöglich war. »Da Ihr so freundlich wart, Euer bissiges Ungeheuer selbst zu versorgen, kann ich mich wieder wichtigeren Angelegenheiten zuwenden.«
»Zum Beispiel?«, fragte Andrej.
Blanche hatte sich schon halb zum Ausgang gewandt, doch nun
blieb er stehen und sah nachdenklich zu Andrej zurück. »Warum
interessiert Euch das?«, fragte er.
»Nehmt an, ich bin einfach sehr neugierig.«
»Oder sehr eifersüchtig?«
»Das war immer schon Marias größter Fehler«, sagte Andrej.
»Vielleicht ihr einziger. Sie ist zu vertrauensselig. Und sie redet zu
viel.«
»Sie hat gar nichts gesagt«, erwiderte Blanche. »Aber das muss sie
auch nicht.« Er schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht, als habe
er in eine Frucht gebissen, deren verlockendes Aussehen bitter
schmeckendes Fruchtfleisch verbarg. »Hätte ich für jedes Mal, das
sie in den vergangenen fünfzig Jahren Euren Namen genannt hat, ein
Goldstück bekommen, dann wäre ich ein sehr reicher Mann.«
»Und das stört Euch gar nicht?«
»Nein«, antwortete Blanche ruhig. »Ganz im Gegenteil.«
»Im Gegenteil? Was soll das heißen?«
Blanche wandte sich abermals zur Tür, hielt wieder inne, schüttelte
den Kopf und seufzte tief. »Also gut«, sagte er. »Ich hätte es vorgezogen, dieses Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt zu führen, aber
eigentlich ist
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