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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dieser Moment so gut wie jeder andere. Ihr wollt sie
haben? Sie gehört Euch.«
»Wie meint Ihr das?«, fragte Andrej verdattert.
»Was ist daran so schwer zu verstehen? Das Mädchen liebt Euch,
und Ihr liebt sie. Ich stehe Euch nicht im Wege.«
»So einfach ist das also?«, murmelte Andrej fassungslos. Er fühlte
sich wie vor den Kopf geschlagen. Er hatte mit allem gerechnet -
aber nicht damit. Machte sich der Weißhaarige einen grausamen
Spaß mit ihm?
»Ich… ich verstehe nicht ganz…«, sagte er hilflos.
»Oh doch, das tut Ihr«, behauptete Blanche. »Ich bin kein Mann,
der gern um den heißen Brei herumredet, und wenn es stimmt, was
Maria mir über Euch erzählt hat, dann seid Ihr das auch nicht. Maria
liebt Euch. Sie hat in all den Jahren niemals die Hoffnung aufgegeben, Euch eines Tages wieder zu finden. Wenn es einen Menschen
auf der Welt gibt, dem ich Maria anvertrauen würde, dann Euch.
Wenn es nicht so wäre«, fügte er nach einer genau bemessenen Pause
hinzu, »dann wärt Ihr längst tot.«
»Und das ist alles?«, fragte Andrej. »Ihr wollt mir weismachen,
dass Ihr Maria fünfzig Jahre lang beschützt und begleitet habt, und
dann gebt Ihr sie einfach frei? Nachdem ich kaum zwei Tage hier
bin?«
»Ich weiß alles über Euch, was ich wissen muss«, antwortete Blanche. »Nicht nur von Maria. Es ist unmöglich, ein Geheimnis vor mir
zu bewahren. Ihr seid der Richtige für sie.« Er lachte leise. »Der Umstand, dass Ihr noch am Leben seid, ist der beste Beweis dafür, meint
Ihr nicht auch?«
»Trotzdem sind fünfzig Jahre eine lange Zeit«, beharrte Andrej.
»Nicht, wenn man es gewohnt ist, in Jahrtausenden zu rechnen«,
antwortete Blanche. »Tatsächlich kommt mir Euer Auftauchen sogar
ganz gelegen. Ihr kennt Maria. Sie ist eine wundervolle Frau, aber
manchmal beansprucht sie ihre Mitmenschen über Gebühr. Und unglückseligerweise ist sie ein sehr bodenständiger Mensch. Nicht einmal ich konnte sie dazu bewegen, diesen Teil der Welt zu verlassen.«
»Und Ihr habt andere Pläne«, vermutete Andrej.
»Die Welt ist groß«, erwiderte der Weißhaarige. »Ich habe eine
Menge davon gesehen, aber noch längst nicht alles.«
Vielleicht zum ersten Mal, seit er den Weißhaarigen kannte, erschien Andrej Blanches Lächeln aufrichtig.
»Ich an Eurer Stelle würde auch nicht mehr lange hier bleiben«,
sagte er. »Ihr wart im Dorf. Ihr wisst, wie die Leute dort denken -
und wozu sie fähig sind.«
»Vielleicht reicht es ja schon, wenn Ihr verschwindet«, sagte Andrej spröde.
Statt zu antworten, legte Blanche seinen Kopf auf die Seite und
lauschte. Seine Augen wirkten leer, aber seine Haltung verriet Anspannung und Konzentration.
»Was habt Ihr?«, fragte Andrej alarmiert.
Blanche verharrte in derselben Haltung, bis er sich ganz unvermittelt straffte und den Kopf schüttelte.
»Es tut mir Leid, Andrej«, sagte er. »Ich würde gern noch mit Euch
plaudern, aber ich fürchte, dass dazu keine Zeit mehr bleibt.«
»Dringende Angelegenheiten?«, fragte Andrej.
»Ich muss etwas erledigen«, antwortete Blanche, »das eigentlich
Eure Aufgabe wäre.«
Damit verschwand er. Andrej wollte ihm folgen, blieb aber gleich
darauf entmutigt stehen. Blanche legte - ohne sich sichtlich zu beeilen - ein derartiges Tempo vor, dass Andrej hätte rennen müssen, um
ihn einzuholen. In der Zeit, in der Andrej drei Schritte aus dem Stall
herausgetreten war, hatte der Weißhaarige den Hof bereits überquert
und war unter dem Tor verschwunden. Immerhin hatte er diesmal
Spuren im Schnee hinterlassen.
Andrej ließ ein paar Sekunden verstreichen, dann ging er zurück in
den Stall, befreite das Pferd vom Futtersack und schwang sich in den
Sattel.
    Die Spur führte in gerader Richtung zurück zum Wald und ein kleines Stück den Weg hinauf, den Elenja und er am vergangenen Tag
gekommen waren. Dann verschwand sie. Sie wurde nicht undeutlicher oder verlor sich im Unterholz, sondern war von einem Schritt
auf den anderen einfach nicht mehr da. Es wunderte Andrej nicht. Er
hatte damit gerechnet.
    Enttäuscht hielt er sein Pferd an und sah unschlüssig nach rechts
und links. Wenn Blanche das Tempo beibehalten hatte, in dem er den
Hof überquert hatte, dann konnte er schon eine halbe Meile weit weg
sein, und er hatte nicht die geringste Ahnung, in welche Richtung er
sich bewegt hatte. Seine Sinne halfen ihm nicht. Der frisch gefallene
Schnee dämpfte jeden Laut, und selbst, wenn es Spuren gegeben hätte, hätte er sie in dem

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