Die Blutgraefin
»Und mich hat er zum Werkzeug seiner Rache gemacht. Ich
hätte es gleich merken müssen. Aber ich Narr…«
Er sprach nicht weiter, sondern schüttelte nur aufs Neue den Kopf
und wandte sich mit einem angedeuteten Schulterzucken ab.
Andrej sagte nichts mehr, sondern starrte nur blicklos an dem Nubier vorbei ins Leere. In seiner Kehle saß ein bitterer, schmerzender
Kloß. Abu Dun hatte ihm nichts Neues mitgeteilt, aber das bedeutete
nicht, dass seine Worte nicht wehgetan hätten. Natürlich wusste er,
dass Maria nicht mehr leben konnte, und wenn, dass sie eine uralte
Frau sein musste. Und ihm war ebenso klar, dass Frederic um seine
größte und möglicherweise einzige Schwäche wusste. Abu Dun hatte
ihm nichts gesagt, das sein eigener Verstand nicht schon längst erfasst hätte. Doch die Erinnerung an Marias Gesicht, wie er es zum
letzten Mal gesehen hatte, ließ ihn nicht los; die verzweifelte Furcht
in ihren Augen und die ebenso verzweifelte Hoffnung; die Erinnerung an ein Versprechen, das er ihr gegeben und niemals eingelöst
hatte.
Er drehte sich zur Seite und schloss die Augen. Nach einer Weile
hörte er, wie sich Abu Dun auf dem schimmeligen Strohsack ausstreckte und nur einen Moment später lautstark zu schnarchen begann.
Es sollte lange dauern, bis auch Andrej in dieser Nacht Schlaf fand.
Er erwachte am nächsten Morgen pünktlich mit dem ersten Hahnenschrei, aber dennoch nach Abu Dun. Möglicherweise war es das
Ausbleiben des trommelfellzerreißenden Schnarchens des Nubiers
gewesen, das ihn geweckt hatte. Doch das spielte keine Rolle.
Er hatte schlecht geschlafen. Abu Duns Worte vom Vorabend klangen noch in ihm nach und hatten ihn bis weit in seine Träume hinein
verfolgt.
Abu Dun war offensichtlich vor ihm wach geworden. Der zerschlissene Strohsack neben ihm, den das enorme Gewicht des Nubiers platt
gedrückt und an den Nähten hatte aufplatzen lassen, war leer. Andrej
starrte den verwaisten Schlafplatz einen Moment lang trübsinnig an
und verspürte ein gelindes Gefühl des Bedauerns, als er an ihren
Streit vom vergangenen Abend dachte. Ein Außenstehender hätte
ihre Auseinandersetzung vielleicht nicht einmal als Streit bezeichnet,
aber die wenigen Worte, die sie miteinander gewechselt hatten, hatten alles zum Ausdruck gebracht, was seit dem Zeitpunkt, da sie das
belagerte Wien verlassen hatten, nicht mehr zwischen ihnen stimmte.
Es tat Andrej Leid, dass Abu Dun nicht da war, als er erwachte, und
er somit keine Gelegenheit hatte, sich bei ihm zu entschuldigen.
Nicht zum ersten Mal fragte sich Andrej, warum er sich nicht einfach eingestand, dass Abu Dun Recht hatte. Frederics Worte waren
nichts als ein böses Abschiedsgeschenk gewesen, mit dem er das
Messer, das er ihm vor einem halben Jahrhundert in die Brust gestoßen hatte, noch einmal herumdrehte. Es tat weh. Gegen körperlichen
Schmerz war er weitgehend unempfindlich, vielleicht, weil er für ihn
nahezu bedeutungslos geworden war; aber die Qual, die seine Seele
zerfleischte, brannte dafür um so heißer.
Andrej schüttelte den Gedanken ab, stand auf und wankte schlaftrunken die steile Treppe hinunter. Im unteren Teil des Hauses war es
deutlich dunkler als unter dem Dach, aber auch spürbar wärmer. Das
Herdfeuer war zu einem Häufchen mattrot glimmender Asche zusammengesunken, das nur noch wenig Licht und Wärme verbreitete,
aber der blasse Schein reichte Andrejs scharfen Augen zur Orientierung.
Auch der große Raum unten war leer. Andrej ging ein paar Schritte,
blieb stehen und lauschte dann mit geschlossenen Augen. Er konnte
das leise Heulen des Windes hören, der sich an den unzähligen Ecken, Winkeln und Vorsprüngen des bizarren Gebäudes brach, und
sogar das seidige Rascheln, mit dem der feine Pulverschnee zu Boden rieselte, aber nicht das unverkennbare Geräusch menschlicher
Atemzüge. Ulric und seine Frau waren offensichtlich nicht mehr nebenan im Stall. Falls sie es je gewesen waren.
Andrej runzelte flüchtig die Stirn, ein wenig verwundert über seine
Gedanken. Er war sicher nicht so alt geworden, weil er allzu vertrauensselig gewesen wäre, aber das Misstrauen, das er Ulric und seiner
Familie entgegenbrachte, erschien selbst ihm übertrieben.
Er verscheuchte diesen Gedanken und ging weiter. Sicher hatte Ulric irgendwo im Haus Wasser, aber draußen lag genug frisch gefallener Schnee, um sich waschen zu können. Vielleicht lief ihm ja auch
dieser verdammte Hahn über den Weg, dessen Krähen ihn
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