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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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geweckt
hatte, sodass er sich gebührend bedanken und ihm den Hals umdrehen konnte.
    Draußen war kein Hahn zu sehen, aber der Schnee unmittelbar vor
dem Eingang war zertrampelt, und eine breite, noch frische Spur
führte quer über die Lichtung zum Waldrand hin. Andrej lauschte
angespannt - er hörte nichts, trotz seiner scharfen Ohren. Dann
schlug er den Mantel enger um seine Schultern und folgte dem
Trampelpfad in der ansonsten makellos weißen Decke, die der Winter über der Lichtung ausgebreitet hatte. Ulric und seine Söhne waren
dort vor nicht allzu langer Zeit entlanggegangen, offensichtlich alle
gemeinsam. Diesmal erschien Andrej sein Misstrauen nicht übertrieben, als er sich fragte, was sie vor Sonnenaufgang und bei diesem
Wetter wohl draußen suchten.
    Wo war Abu Dun?
Er hatte den Waldrand fast erreicht, als ihn das Gefühl, angestarrt
zu werden, innehalten ließ. Es war irritierend - und auch auf ungewohnte Weise beunruhigend. Andrej hätte es gespürt, wenn sich in
seiner Nähe ein Mensch verbogen hätte, der ihn beobachtete. Aber da
war niemand. Trotzdem wurde das Gefühl immer intensiver und unerträglicher. Er wurde nicht einfach nur angestarrt. Er war Beute.
Andrejs Hand schloss sich in einer unbewussten Bewegung um den
Schwertgriff, während er sich langsam um sich selbst drehte und
seine Umgebung aufmerksam musterte. Nirgendwo rührte sich etwas. Er war vollkommen allein. Selbst der Wind schien für einen
Moment den Atem angehalten zu haben. Nur ein paar Schritte neben
ihm wehte ein Schleier aus pulverfeinem Schnee, der von einem Ast
heruntergefallen war, und…
Andrej hob unvermittelt den Kopf - da war die Eule! Sie saß nur ein
paar Schritte entfernt auf einem Ast, in vielleicht vier, fünf Metern
Höhe. Obwohl Andrej sie nun direkt ansah, tarnte sie ihr weißes Gefieder so perfekt, dass er sie selbst jetzt wahrscheinlich noch übersehen hätte, hätten sich nicht ihre Augen langsam bewegt, um ihn misstrauisch und auf beunruhigend berechnende Weise zu mustern. Das
Tier sah nicht einfach nur zufällig in seine Richtung, dachte Andrej
schaudernd. Und es sah ihn auch nicht an, wie ein Tier einen Menschen ansehen sollte, sondern auf eine Weise, die einem solchen Geschöpf nicht zustand.
»Was bist du?«, murmelte Andrej.
Die Eule bewegte mit einem kleinen Ruck den Kopf. Ihre Augen
blickten weiterhin aufmerksam in seine Richtung. Dann schloss sie
mit einem langsamen Blinzeln die Lider und ließ sie einen Moment
geschlossen, als wolle sie auf seine Frage antworten. Aber das war
unmöglich!
Andrej schüttelte sich, als ob er sich so von dieser Vorstellung befreien könnte, und setzte seinen Weg fort. An dieser Eule war nichts
Außergewöhnliches, sagte er sich, abgesehen davon vielleicht, dass
sie allem Anschein nach ein außergewöhnlich dummes Tier zu sein
schien, das nicht allzu lange überleben würde, falls es sein übermäßiges Zutrauen zu Menschen nicht verlor. Vielleicht war es ein zahmes Tier, das aus einer Menagerie ausgebrochen war. Er hatte wahrlich Besseres zu tun, als frierend in der Kälte zu stehen und mit einer Eule zu reden.
Als er weiterging, konnte er hören, wie sich die Eule von ihrem
Sitzplatz erhob und mit trägen Flügelschlägen in die Luft schwang.
Es kostete Andrej einige Überwindung, sich nicht zu der Eule umzudrehen und ihr nachzublicken.
Er verfolgte weiter die Spur, die eine Weile in die Richtung führte,
aus der sie am Abend zuvor gekommen waren, knickte dann aber
scharf ab und kehrte zum Ufer des halb zugefrorenen Baches zurück.
Selbst Andrej konnte nicht genau sagen, wie viele Menschen hier
entlanggegangen waren - es mochten vier oder fünf gewesen sein,
genauso gut aber auch die doppelte oder gar dreifache Anzahl. Er
glaubte jedoch erkennen zu können, dass unter all diesen Spuren
auch die Abu Duns waren, und dass der Nubier als Erster dort entlanggekommen war und die anderen ihm später gefolgt waren. Es
war ein beunruhigender Gedanke, aber er gestattete ihm nicht, sich
weiter zu entwickeln. Abu Dun war durchaus in der Lage, auf sich
selbst aufzupassen.
Andrej beschleunigte seine Schritte, blieb jedoch nach wenigen
Augenblicken stehen, als er das Ufer des Baches erreichte, und sah
sich überrascht und nun doch besorgt um. Die Spur führte direkt zum
Ufer, setzte sich aber auf der anderen Seite nicht fort. Andrej fielen
auf Anhieb drei, vier mögliche Erklärungen dafür ein, aber keine
davon ergab einen Sinn. Warum sollte

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