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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vergangenen Stunden erlebt
hatte, nicht weiter verwunderlich war. Es lag an der Kleidung des
Fremden: Er war von Kopf bis Fuß in mattes Weiß gehüllt. Weiße
Lederstiefel, lose fallende, kostspielige weiße Hosen aus gegerbtem
Leder, ein weißes Wams und darüber ein fast bis zum Boden reichender, ebenfalls weißer Mantel. Auch seine Hände verbargen sich
in weißen Handschuhen, und selbst das schlanke Schwert, das er am
Gürtel trug, steckte in einer Scheide aus weiß gefärbtem Leder. Noch
ungewöhnlicher war die Farbe seines wellig bis auf die Schultern
fallenden Haares: ein stumpfes Eisgrau, das dem Blick keinen rechten Halt bot, sodass er immer wieder abglitt. Vielleicht, überlegte
Andrej, war dieses Haar der Grund, aus dem er sich auf eine so ungewöhnliche, auffällige Art kleidete.
»Wer zum Scheijtan…?«, murmelte Abu Dun.
Andrej brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. Ohne dass er es
begründen oder gar in Worte fassen konnte, machte ihm das Wort,
das Abu Dun benutzt hatte, Angst: Scheijtan - Teufel.
Bevor Abu Dun weitersprechen konnte, ließ Andrej sein Pferd zwei
Schritte weiter traben und hielt wieder an. Seine Hand senkte sich in
einer demonstrativen Geste auf den Schwertgriff.
»Guten Morgen«, begrüßte er den Fremden.
Die durchdringend gelben Augen des Mannes blitzten spöttisch auf,
aber seine Stimme hatte den spröden Klang von zerbrechendem Eis,
als er antwortete: »Es wird sich zeigen, ob dieser Morgen gut für
Euch ist.«
Andrej zog fragend die linke Augenbraue hoch. Wenn das die Vorstellung des Fremden von einer humorvollen Begrüßung war, würde
ihr Gespräch möglicherweise nicht sehr lange dauern. Er sah aus den
Augenwinkeln, dass auch Abu Duns Hand zum Schwert glitt, machte
eine rasche, kaum wahrnehmbare Geste in dessen Richtung und
wandte sich wieder dem Unbekannten zu. »Wer seid Ihr?«, fragte er
grob.
»Jemand, der es gut mit Euch meint«, entgegnete der Fremde. Das
sonderbare Glitzern in seinen abgründigen, bernsteinfarbenen Augen
nahm zu, aber Andrej war nicht mehr sicher, ob es sich wirklich um
einen Ausdruck von Spott handelte oder nicht vielleicht doch von
etwas weitaus Unheilvollerem.
Er fühlte sich von Augenblick zu Augenblick unbehaglicher. Dieser
sonderbare, ganz in Weiß gekleidete Fremde verunsicherte ihn auf
eine Art und Weise, die er nicht begriff. Andrej maß den Weißhaarigen mit einem neuerlichen, sehr aufmerksamen Blick von Kopf bis
Fuß und lauschte gleichzeitig konzentriert in sich hinein. Sie standen
keinem anderen Unsterblichen gegenüber, sondern einem ganz normalen Menschen.
»Was genau meint Ihr damit?«, fragte er. Er ließ sein Pferd einen
weiteren einzelnen Schritt machen, bevor er abermals anhielt und
sich mit einer fließenden Bewegung aus dem Sattel schwang. Andrej
änderte in Gedanken seine vielleicht vorschnell gefasste Meinung
über den Fremden. Der Mann war mit Sicherheit kein Unsterblicher,
aber auch alles andere als ein normaler Mensch. Zwei bewaffnete
Fremde, von denen einer ein ganz in Schwarz gekleideter, mehr als
zwei Meter großer Hüne war, auf diese Weise herauszufordern, erforderte schon ein gehöriges Maß an Verwegenheit.
»Du bist zu vertrauensselig, Andrej Delãny«, antwortete der Mann.
»In Zeiten wie diesen sollte man sich besser dreimal überlegen, wem
man sein Vertrauen schenkt. Und wem man glaubt.«
Andrej zog überrascht die Brauen zusammen. »Du kennst meinen
Namen?«
»Wer nicht?«, erwiderte der in Weiß gekleidete Mann. »Andrej Delãny, der berühmte Schwertmeister, und Abu Dun, der abtrünnige
Muselmane, der mit Vorliebe seine eigenen Glaubensbrüder tötet.«
Diesmal bildete sich Andrej das spöttische Aufblitzen in den Augen
seines Gegenübers nicht ein. »Ihr beide seid fast so etwas wie eine
Legende, wusstet ihr das nicht?«
»Nein«, antwortete Andrej kühl. Er hatte es nicht gewusst, und es
konnte auch nicht wahr sein. Abu Dun und er legten großen Wert
darauf, möglichst wenig Aufsehen zu erregen - soweit das bei einem
Paar wie ihnen möglich war. Aber sie waren ganz gewiss keine Legende. »Und wie ist dein Name?«
»Der tut nichts zur Sache«, entgegnete der unheimliche Fremde.
»Ihr werdet so oder so keine Verwendung dafür haben.«
»Ganz wie du willst«, sagte Andrej ruhig. »Du stehst uns im Weg,
Namenloser.«
»Das ist nicht euer Weg«, widersprach der andere kopfschüttelnd.
»Was soll das heißen?«
»Reitet dorthin zurück, wo ihr hergekommen seid«,

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