Die Blutgraefin
antwortete der
Fremde. »Glaubt mir, das ist besser für euch.«
Es kam selten vor, aber Andrej war im ersten Moment sprachlos. Er
konnte hören, wie Abu Dun hinter ihm scharf die Luft zwischen den
Zähnen einsog. Stoff raschelte, und dann vernahm er den charakteristischen Laut, mit dem rasiermesserscharf geschliffener Stahl aus seiner Umhüllung glitt. Hastig hob er die linke Hand, um Abu Dun zurückzuhalten. Seine Rechte ruhte weiter auf dem Griff seines eigenen
Schwertes.
»Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Was soll das heißen?«
Der andere lachte. Er hob die Hand und deutete auf Abu Dun, ohne
dass sein Blick den Andrejs auch nur für einen Moment losgelassen
hätte. »Dein Freund ist zu gutmütig«, sagte er. »Vielleicht wird er
auch allmählich alt und sein Herz weich.« Dann wandte er sich direkt
an Abu Dun. »Hat die Geschichte, die dir dieser verliebte junge Narr
erzählt hat, dein Herz gerührt, oder bist du nur selbst darauf aus, das
Mädchen kennen zu lernen, das ihm versprochen ist?« Er schüttelte
den Kopf. »Glaubt mir - es lohnt sich nicht.«
Andrej sah verständnislos zu Abu Dun. »Was meint er damit?«
Abu Dun schwieg, aber der Weißhaarige lachte leise. »Und ich
dachte, ihr wärt wirklich gute Freunde, die keine Geheimnisse voreinander haben«, spottete er. »Dein Freund hat diesem dummen Bauern das Versprechen gegeben, nach der Verlobten seines Sohnes zu
suchen.«
»Ist das wahr?«, fragte Andrej überrascht.
Abu Dun schwieg weiter. In den Blicken, mit denen er den sonderbar gekleideten Fremden maß, loderte Mordlust.
»Natürlich ist das wahr«, antwortete der Fremde an seiner Stelle. Er
schüttelte den Kopf. »Aber das kann ich nicht zulassen.«
»Wieso nicht?« Andrej riss seinen Blick mit einiger Mühe von Abu
Duns Gesicht los und wandte sich wieder seinem Gegenüber zu. Er
zweifelte nicht daran, dass die Behauptung des Fremden der Wahrheit entsprach, und er würde ein vermutlich nicht sehr angenehmes
Gespräch mit Abu Dun führen. Aber nicht in diesem Moment und
schon gar nicht an diesem Ort.
»Weil es meine Aufgabe ist«, antwortete der Fremde. »Ihr wollt
zum Schloss meiner Herrin, um dort nach diesem Mädchen zu suchen.«
Endlich begriff Andrej. »Du bist ihr Leibwächter«, vermutete er.
»Der Mann, von dem Ulric… erzählt hat.«
Das unbehagliche Stocken in seinen Worten war dem Fremden
nicht entgangen. »Ich nehme an, er hat ein anderes Wort benutzt«,
sagte er mit einem flüchtigen Lächeln. »Aber du hast natürlich
Recht. Ich werde dafür bezahlt, meine Herrin zu beschützen. Und ich
nehme meine Aufgabe ernst.«
»So wie wir unsere«, sagte Andrej. »Wenn du wirklich weißt, wer
wir sind, dann weißt du auch, dass du uns nicht aufhalten kannst.« Er
nahm demonstrativ die Hand vom Schwertgriff. »Ich gebe dir mein
Wort, dass wir deine Herrin nicht belästigen werden.«
»Du vielleicht nicht«, antwortete der andere und machte eine Kopfbewegung in Abu Duns Richtung. »Er schon. Kehrt um!«
»Und wenn wir das nicht tun?«
»Dann müsste ich euch töten«, sagte der Weißhaarige. »Aber eigentlich möchte ich das nicht.«
Andrej wollte antworten, doch er kam nicht mehr dazu. Abu Duns
Geduld war offensichtlich erschöpft. Der Nubier schwang sich mit
einem wütenden Schrei aus dem Sattel, war mit einem einzigen
Schritt neben ihm und riss seinen Krummsäbel in die Höhe.
Andrej packte im letzten Moment sein Handgelenk und hielt ihn
fest. »Abu Dun!«, sagte er beschwörend. »Nicht!«
Einen winzigen Moment lang war er sicher, dass Abu Dun ihn einfach beiseite stoßen und sich auf seinen Widersacher stürzen würde.
Dann entspannte sich Abu Dun fast unmerklich. Andrej ließ seine
Hand los und drehte sich hastig wieder zu dem weiß gekleideten
Fremden um.
»Es ist nicht notwendig, dass einer von uns zu Schaden kommt«,
sagte er.
»Nicht, wenn ihr auf eure Pferde steigt und wegreitet«, erwiderte
der andere. Sein Lächeln, das die ganze Zeit über unverändert
geblieben war, wirkte jetzt ein wenig traurig. Er zog sein Schwert.
»Aber ich fürchte, das werdet ihr nicht tun.«
Andrej seufzte. »Ich habe es versucht.«
Er trat einen Schritt zur Seite, und Abu Dun stürmte ohne die geringste Vorwarnung los.
Vermutlich war der einzige Grund, warum der Namenlose diesen
ersten Angriff überlebte, Abu Duns unbeherrschte Wut. Der Nubier
schlug mit so unbändiger Kraft zu, dass Andrej einen zweiten, hastigen Satz zur Seite machte und sich erschrocken
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