Die Blutgraefin
dass es etwas mit dieser… Eule zu tun
hat?«, fragte Abu Dun.
Andrej hob nur die Schultern. Er wusste nicht, was er glauben sollte. »Immerhin hat sie uns beide hierher gelockt«, sagte er.
»Und?«, fragte Abu Dun.
Andrejs Antwort bestand auch diesmal nur aus einem hilflosen
Achselzucken. »Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Aber wenn du mich
fragst, dann wird es allmählich Zeit, dass wir von hier verschwinden.«
Diesmal widersprach Abu Dun nicht.
Im Haus brannte Licht, aber Ulric und seine Söhne waren nicht da.
Ihre Spuren waren vielleicht hundert Meter vor dem Gebäude im
rechten Winkel vom Weg abgewichen und hatten sich im Wald verloren. Nur Ulrics Frau erwartete sie, das Gesicht noch teigig und aufgedunsen vom Schlaf. Sie kniete in eine zerschlissene Wolldecke
gehüllt vor dem fast erloschenen Feuer im Herd. Andrej half ihr, die
Glut neu anzufachen, und sie bedankte sich, indem sie Abu Dun und
ihm das Gemüse vom vergangenen Abend aufwärmte und ihnen Brot
und ein wenig gesalzenes Fleisch brachte. Andrej nahm beides ohne
zu zögern, wenn auch mit schlechtem Gewissen, an und gönnte sich
sogar noch den Luxus, ein wenig länger am Feuer sitzen zu bleiben,
als notwendig gewesen wäre, um zu essen. Der heutige Tag würde
vermutlich wieder ein wenig kälter werden als der vorige, so wie
jener kälter gewesen war als der davor.
Abu Dun und er mochten nach menschlichen Maßstäben so gut wie
unverwundbar und nahezu unsterblich sein. Das beschützte sie aber
unglückseligerweise nicht davor, wie ganz gewöhnliche Menschen
zu frieren, wenn es kalt war. Dieser Winter versprach sehr kalt zu
werden. Andrej konnte sich kaum noch daran erinnern, wann er das
letzte Mal nicht gefroren oder in einem richtigen Bett geschlafen,
geschweige denn eine Nacht in einem warmen Haus zugebracht hatte.
Schließlich war es Abu Dun, der zum Aufbruch drängte. Ulric und
seine Söhne würden nicht ewig fortbleiben, und Andrej hatte nicht
vor, bei ihrer Rückkehr noch dort zu sein. Anders als am Abend zuvor hatte Abu Dun keinerlei Einwände gegen Andrejs Pläne erhoben.
Was immer ihm dort draußen im Wald zugestoßen sein mochte, es
hatte allem Anschein nach zu einer grundlegenden Meinungsänderung über die armen Bauern geführt.
Ihre Pferde waren bereits gesattelt und fertig aufgezäumt, als sie
den zugigen Stall betraten, auf dessen Boden kaum weniger Schnee
lag als auf dem löchrigen Dach darüber. Andrej sparte sich eine Bemerkung, aber ihm war klar, dass es nur Ulrics Frau gewesen sein
konnte, die ihnen diese Arbeit abgenommen hatte. Er wusste allerdings nicht, ob es ein einfacher Akt der Freundlichkeit gewesen war -
oder ob sie einfach sicher sein wollte, dass Abu Dun und er so
schnell wie möglich von dort verschwanden.
Es spielte keine Rolle. Sie stiegen in die Sättel und ritten in die
Richtung davon, aus der sie am vergangenen Abend gekommen waren.
Abu Dun hielt einen weitaus größeren Abstand zu ihm ein, als notwendig gewesen wäre. Andrej entging auch nicht, dass der Nubier
ungewöhnlich schweigsam und in sich gekehrt war, seit sie aus dem
Wald zurückgekehrt waren. Irgendetwas machte ihm zu schaffen.
Und Andrej glaubte zu wissen, was es war.
»Wie konnte es jemandem gelingen, sich an dich anzuschleichen?«,
fragte er.
Abu Dun schenkte ihm einen bösen Blick und ließ fast eine Minute
verstreichen, bevor er antwortete. Als er es tat, sah er Andrej nicht
an, sondern starrte aus eng zusammengekniffenen Augen in das
graue Licht, das träge wie zäher Nebel zwischen den dicht gedrängt
stehenden Bäumen hindurchzufließen schien. Die Dämmerung war
längst vorbei, aber der Tag schien sich entschlossen zu haben, nicht
heller zu werden.
»Das frage ich mich, seit ich aufgewacht bin«, sagte er schließlich.
Abu Dun hob die linke Hand und betastete damit die Stelle unter
seinem Turban, an der ihn der Schlag getroffen hatte. Andrej war
nicht sicher, ob er es tat, um mit einer Geste seine Worte zu unterstreichen, oder ob die Bewegung unbewusst war. »Vielleicht war
ich nur unaufmerksam. Geschieht mir recht. Mich von einem Vogel
dermaßen ablenken zu lassen…«
Andrej war weder überzeugt, dass es so einfach gewesen sein sollte,
noch, dass Abu Dun selbst an den Unsinn glaubte, den er von sich
gab. Dennoch überlegte er sich seine nächsten Worte sehr genau.
Wenn es etwas gab, das noch stärker ausgeprägt war als Abu Duns
berüchtigte Schwatzhaftigkeit, dann war es sein Stolz. Und der Umstand,
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