Die Blutgraefin
dazukam, stand er über deinen Freund gebeugt, und du hast reglos im
Schnee gelegen. Er hat mich gesehen, und ich bekam Angst, dass er
mich ebenfalls tötet.« Er hob die Schultern. »Stattdessen ist er weggelaufen.«
»Ja, darauf wette ich«, spottete Abu Dun. »Wahrscheinlich hatte er
Angst vor dir.«
In Staniks Augen blitzte es wütend auf, und Andrej sagte rasch:
»Vielleicht wollte er uns ja gar nicht töten.«
Abu Dun schnaubte verächtlich, während Andrej hastig weiterfragte: »Du hast ihn also gesehen?«
Stanik nickte.
»Und du hast ihn erkannt«, vermutete Andrej.
»Es war ihr Bluthund«, bestätigte Stanik. »Der Leibwächter der
Hexe.«
»Ein Name wäre ganz nützlich«, schlug Andrej vor. »Es fällt doch
leichter, über jemanden zu sprechen, dessen Namen man kennt.«
»Den kennt niemand«, behauptete Stanik. »Und euch braucht er
auch nicht mehr zu interessieren.« Er straffte die Schultern, wohl um
auch äußerlich zu betonen, dass er dieses Gespräch als beendet erachtete. »Mein Vater lässt euch ausrichten, dass das Essen fertig ist.
Wenn den Herren also danach zu Mute wäre, unser bescheidenes
Mahl mit uns zu teilen, so würden wir uns zutiefst geehrt fühlen.«
»Spott steht dir nicht besonders gut zu Gesichte, Jungchen«, bemerkte Abu Dun kühl.
In Staniks Augen funkelte es kampflustig. Andrej erhob sich rasch
und trat zwischen ihn und den Nubier.
»Ist schon gut«, beschwichtigte er den jähzornigen jungen Mann.
»Sag deinem Vater, dass wir gerne kommen. Wir sind gleich unten.«
Zu seiner Überraschung gab sich Stanik mit dieser Antwort zufrieden - wenn er es sich auch nicht nehmen ließ, Abu Dun noch einen
aufsässigen Blick zuzuwerfen, bevor er mit schnellen Schritten auf
der Treppe verschwand.
Andrej drehte sich zu Abu Dun um. »Was soll das?«, fragte er
scharf. »Wieso reizt du ihn so?«
»Weil er lügt«, antwortete Abu Dun. »Du hast diesen Kerl doch erlebt! Er hat uns beide mit Leichtigkeit besiegt - und dann läuft er
weg, wenn dieser Bengel auftaucht? Wer soll das glauben?«
»Vielleicht wollte er uns gar nicht töten«, wiederholte Andrej. »Ich
glaube, wenn er uns hätte töten wollen, dann wären wir jetzt tot.«
»Und warum hat er dann den ganzen Aufwand betrieben?«,
brummte Abu Dun.
Andrej schüttelte den Kopf. »Vielleicht wollte er mit uns spielen.
Seine Kräfte mit uns messen. Oder uns zeigen, wozu er wirklich fähig ist - was weiß ich.«
»Das ist ihm gelungen«, bestätigte Abu Dun. Er fuhr sich genießerisch mit der Zungenspitze über die Lippen. »Bilde ich mir das bloß
ein, oder hat der Junge etwas von Essen gesagt?«
»Warte noch kurz«, bat Andrej und fuhr fort: »Was genau hat Staniks… Bluthund eigentlich gemeint, als er behauptete, seine Herrin
vor uns beschützen zu müssen?«
»Vielleicht dasselbe, was ich gemeint habe, als ich sagte, dass wir
das Geld brauchen könnten«, erwiderte Abu Dun ausweichend.
»Du hast…?«
»Nichts habe ich«, fiel Abu Dun Andrej ins Wort. »Der Junge hat
mir Leid getan, und seine Mutter erst recht. Ich habe ihnen lediglich
versprochen, Augen und Ohren offen zu halten, falls wir in der Nähe
des Schlosses vorbeikommen.«
»Das zweifellos genau auf dem Weg nach Fahlendorf liegt«, vermutete Andrej.
»Ein Umweg von einem halben Tag. Und verdammt noch mal, Hexenmeister, ich meine es ernst: Wir brauchen das Geld. Wir sind so
gut wie pleite. Davon abgesehen…«
»Ja?«, fragte Andrej, als Abu Dun mitten im Satz abbrach und auch
keine Anstalten machte weiterzusprechen.
»Davon abgesehen bin ich es leid, von Stadt zu Stadt zu irren und
einem Hirngespinst hinterherzujagen«, stieß Abu Dun eigensinnig
hervor. »Verdammt, ich brauche endlich wieder mal einen richtigen
Kampf!« Er ballte die Faust. »Wir sind Krieger, Andrej, keine Pilger
auf dem Weg nach Mekka.«
»Ich bin auch nicht auf der Suche nach einem Stein«, antwortete
Andrej.
Abu Dun presste grimmig die Kiefer aufeinander und Andrej begriff, dass er zu weit gegangen war. Sie kannten sich seit vielen Jahrzehnten, und sie hatten von Anfang an den Glauben des jeweils anderen respektiert; auch wenn Andrej nicht klar war, wie tief der Glaube
des Nubiers tatsächlich ging. Er vermutete, dass Abu Duns Verhältnis zu Allah ebenso angespannt war, wie das seine zu Gott, doch
spürte er deutlich, dass er seinen Gefährten mit seiner unüberlegten
Bemerkung verletzt hatte.
»Entschuldige«, sagte er reumütig. »Das war dumm von mir. Ich
hätte das nicht sagen
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