Die blutige Sonne
Was war denn nur los mit ihm? Und das war auch die Lösung; der Portier hatte ihn einfach für einen Darkovaner gehalten, vielleicht für jemanden, den er vom Sehen kannte, und ihn in den reservierten Saal gewiesen. Ebenso war es eine Erklärung für das Verhalten Ragans und des Rothaarigen im Restaurant. Es gab auf Darkover einen Doppelgänger von ihm oder zumindest jemanden, der ihm sehr ähnlich sah, irgendeinen großen Rothaarigen von ungefähr seiner Größe und Farbe, und davon wurden die Leute bei flüchtigem Hinsehen getäuscht.
»Ihr seid früh hier, Com’ii «, sagte eine Stimme hinter ihm, und Kerwin drehte sich um und sah sie.
Im ersten Augenblick hielt er sie für ein terranisches Mädchen, und das wegen der rotgoldenen Locken, die auf ihrem Köpfchen aufgetürmt waren. Sie war schlank und zart, und ihr einfaches Gewand schmiegte sich an zierliche Kurven. Schnell wandte Kerwin seine Augen ab. In aller Öffentlichkeit eine darkovanische Frau anzustarren, war eine Unverschämtheit, für die ein Mann zusammengeschlagen werden konnte, wenn Verwandte der Frau in der Nähe und gewillt waren, Anstoß zu nehmen. Aber sie gab seinen Blick offen zurück und hieß ihn durch ihr Lächeln willkommen. Einen Augenblick lang glaubte er, sein erster Eindruck, sie sei Terranerin, sei trotz ihrer darkovanischen Anrede doch richtig.
»Wie seid Ihr hergekommen? Ich dachte, wir hätten ausgemacht, daß die Turmkreise zusammenbleiben«, sagte sie, und Kerwin starrte sie an. Sein Gesicht wurde heiß, und das nicht vom Feuer. »Ich bitte um Entschuldigung, Domna «, erklärte er in der Sprache seiner Kinderzeit. »Ich wußte nicht, daß dies ein Privatzimmer ist; man hat mich irrtümlich hierher verwiesen. Verzeiht mein Eindringen, ich werde sofort gehen.«
Sie sah ihn an, und ihr Lächeln verblaßte. »Was denkt Ihr Euch eigentlich?« verlangte sie zu wissen. »Wir haben über vieles zu diskutieren …« Sie hielt inne. Dann fragte sie unsicher: »Habe ich einen Fehler gemacht?«
Kerwin erwiderte: »Irgendwer hat einen gemacht, das ist sicher.« Seine Stimme erstarb bei den letzten Wörtern, weil ihm klar wurde, daß sie sich nicht der Sprache von Thendara bediente, sondern einer anderen, die er nie zuvor gehört hatte. Und trotzdem hatte er sie so gut verstanden, daß es ihm erst jetzt auffiel!
Dem Mädchen blieb der Mund offenstehen. Schließlich fragte sie: »Im Namen des Sohnes von Aldones und seiner göttlichen Mutter, wer seid Ihr?«
Kerwin wollte ihr schon seinen Namen nennen, als ihm der Gedanke kam, daß er ihr unmöglich etwas bedeuten konnte, und der Zornteufel, der sich kurze Zeit ruhig verhalten hatte, weil er mit einer schönen Frau sprach, bemächtigte sich seiner von neuem. Das war heute abend schon das zweite – nein, das dritte Mal. Verdammt noch mal, sein Doppelgänger mußte viel herumkommen, wenn er sowohl in einer Raumhafenkneipe als auch in dem für eine Gesellschaft der darkovanischen Aristokratie reservierten Raum erkannt wurde – denn das Mädchen konnte keiner anderen Klasse angehören.
So ironisch, wie er es nur fertigbrachte, antwortete er: »Erkennt Ihr mich nicht, Lady? Ich bin Euer großer Bruder Bill, das schwarze Schaf der Familie, der mit sechs Jahren davonlief und in den Raum ging, und seitdem bin ich von Raumpiraten auf den Randwelten gefangengehalten worden. Ihr könnt Euch bei der nächsten Amtseinsetzung vergewissern.«
Sie schüttelte verständnislos den Kopf, und er wurde sich bewußt, daß die Sprache und die Ironie wie auch die Anspielungen, die er gemacht hatte, ihr überhaupt nichts sagten. Dann meinte sie in dieser Sprache, die er verstand, wenn er nicht zu gründlich darüber nachdachte: »Aber sicher seid Ihr doch einer von uns, vielleicht aus der Verborgenen Stadt? Wer seid Ihr?«
Kerwin war zu verärgert, um das Spiel weiter fortzusetzen. Beinahe wünschte er, der Mann, für den sie ihn hielt, werde in diesem Augenblick hereinkommen, damit er ihm die Nase einschlagen könne.
»Passen Sie auf, Mädchen, Sie verwechseln mich mit einem anderen. Ich weiß gar nichts über Ihre Verborgene Stadt – sie ist wohl zu gut verborgen. Auf welchem Planeten liegt sie? Sie sind doch keine Darkovanerin?« Denn ihr Benehmen war ganz bestimmt nicht das einer darkovanischen Frau.
Wenn sie bisher verwirrt gewesen war, so schien sie jetzt vom Donner gerührt zu sein. »Und trotzdem habt Ihr die Sprache von Valeron verstanden? Hört mir zu«, setzte sie von neuem an, und diesmal
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