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Die blutige Sonne

Die blutige Sonne

Titel: Die blutige Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Vater sei ein wählerischer Mensch gewesen. Aber vielleicht war er seiner Großmutter nur so vorgekommen … Nun, zumindest hatte er für seinen Sohn genug Interesse gehabt, um ihm die Staatsangehörigkeit des Imperiums zu verschaffen.
    Wie dem auch sein mochte, er wollte ausführen, wozu er hergekommen war. Er wollte versuchen, seine Mutter aufzuspüren, und aufklären, warum sein Vater ihn im Raumfahrer-Waisenhaus abgesetzt hatte und wie und wo er gestorben war. Und dann? Was dann? Die Frage quälte ihn: Was würde er dann tun?
    Den Falken werde ich fliegen lassen, wenn seine Schwingen gewachsen sind , sagte Kerwin zu sich selbst, und dann fiel ihm auf, daß er das darkovanische Sprichwort ausgesprochen hatte, ohne darüber nachzudenken.
    Der nächtliche Nebel hatte sich jetzt kondensiert, und dünner, kalter Regen begann zu fallen. Es war tagsüber so warm gewesen, daß Kerwin beinahe vergessen hatte, wie schnell die Tageswärme zu dieser Jahreszeit von Regen, Schneeklatsch und Schnee ausgelöscht wurde. Schon mischten sich kleine Eisnadeln zwischen die Tropfen. Er erschauerte und legte einen Schritt zu.
    Irgendwo war er falsch abgebogen. Er hatte erwartet, auf den Platz vor dem Raumhafen hinauszukommen. Nun stand er auf einem offenen Platz, aber es war nicht der richtige. An einer Seite zog sich eine Reihe von kleinen Cafés und Garküchen, Kneipen und Restaurants entlang. Es waren Terraner da, so daß das Gebiet dem Raumhafenpersonal bestimmt nicht verboten war. Kerwin wußte, daß es derartige Orte gab, denn er war sorgfältig darüber instruiert worden. Aber draußen waren Pferde angebunden, so daß die Lokale auch von darkovanischen Gästen besucht wurden. Er spazierte am Rand des Platzes entlang, fand ein Lokal, das angenehm nach darkovanischem Essen roch, und trat auf gut Glück ein. Die Düfte ließen ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Essen – das war es, was er brauchte, gutes, solides Essen, nicht die fade synthetische Nahrung des Sternenschiffs. In dem dämmrigen Licht verschwammen alle Gesichter, und er hielt nach keinem der Männer von der Southern Crown Ausschau.
    Kerwin setzte sich an den Ecktisch und bestellte, und als das Essen kam, ließ er es sich schmecken. Nicht weit von ihm entfernt ließen sich zwei Darkovaner, besser gekleidet als die meisten, bei ihrem Essen Zeit. Sie trugen bunte Mäntel, hohe Stiefel und juwelenbesetzte Gürtel, in denen Messer steckten. Einer hatte flammend rotes Haar, und bei diesem Anblick hob Kerwin die Augenbrauen. Die Stadt-Darkovaner waren alle dunkel, und er war als Kind seines eigenen roten Haars wegen neugierig angestarrt worden, wenn er in die Stadt kam. Sein Vater und auch seine Großeltern hatten dunkle Haare und Augen, und er war unter ihnen wie ein Leuchtfeuer aufgefallen. Im Waisenhaus hatten sie ihn Tallo (Kupfer) gerufen, halb im Spott und halb, wie ihm jetzt klar wurde, in einer Art abergläubischer Scheu. Und die darkovanischen Pflegerinnen und Hausmütter hatten soviel Mühe gehabt, den Spitznamen zu unterdrücken, daß es ihn sogar damals schon erstaunt hatte. Irgendwie hatte er den Eindruck gewonnen – obwohl es den darkovanischen Pflegerinnen verboten war, mit den Kindern über den hiesigen Aberglauben zu sprechen – daß rotes Haar Unglück bedeutete, beziehungsweise tabu war.
    Wenn es Unglück bedeutete, wußte der Rotkopf am anderen Tisch das entweder nicht, oder es war ihm gleichgültig.
    Auf der Erde war die Erinnerung an diesen Aberglauben allmählich verblaßt, vielleicht, weil rotes Haar dort gar nicht so selten war. Aber es mochte Ragans musternde Blicke erklären. Wenn rotes Haar dermaßen ungewöhnlich war, würde jemand, der in einiger Entfernung einen rothaarigen Mann erblickte, annehmen, er sei ein Bekannter, und überrascht sein, wenn er sich als Fremder herausstellte.
    Doch dabei fiel ihm ein, daß Ragans eigenes Haar einen rostroten Schimmer hatte. Vielleicht war er als Kind auch rothaarig gewesen. Wieder dachte Kerwin, der kleine Mann sei ihm irgendwie bekannt vorgekommen. Er versuchte, sich zu erinnern, ob es im Waisenhaus außer ihm noch andere Rotköpfe gegeben habe. Ganz bestimmt hatte er zwei gekannt, als er sehr klein gewesen war …
    Vielleicht bevor ich in das Waisenhaus kam. Vielleicht war meine Mutter rothaarig oder irgendwelche Verwandten von ihr …
    So sehr er sich bemühte, er konnte die Leere jener frühen Jahre nicht füllen. Da war nur eine Erinnerung an böse Träume …
    Ein Lautsprecher an der Wand

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