Die blutige Sonne
benutzte sie den Stadt-Dialekt von Thendara. »Ich finde, das müssen wir aufklären. Hier ist etwas sehr merkwürdig. Wo können wir miteinander sprechen?«
»Der beste Ort dafür ist hier«, antwortete Kerwin. »Ich mag eben erst auf Darkover gelandet sein, aber so fremd bin ich hier nicht. Ich bin gar nicht verrückt darauf, daß Eure Verwandten mir einen Mordversuch anhängen, noch bevor ich vierundzwanzig Stunden hier bin, falls Ihr empfindliche männliche Verwandte habt. Falls Ihr Darkovanerin seid.«
Das elfenhafte Gesichtchen verzog sich zu einem verwirrten kleinen Lächeln. »Das kann ich nicht glauben«, sagte sie. »Ihr wißt nicht, wer ich bin, und was schlimmer ist, Ihr wißt nicht, was ich bin. Ich war überzeugt, Ihr kämt von einem der entfernter liegenden Türme, Ihr wäret jemand, den ich noch nie von Angesicht zu Angesicht, sondern nur in den Relais gesehen hatte. Vielleicht jemand von Hali oder Neskaya oder Dalereuth …«
Kerwin schüttelte den Kopf.
»Ich bin niemand, den ihr kennt, glaubt mir. Ich wünschte, Ihr würdet mir erzählen, für wen Ihr mich haltet. Wer er auch sein mag, ich möchte meinen Doppelgänger in dieser Stadt gern kennenlernen. Das könnte mir einige Fragen beantworten.«
»Das kann ich nicht tun«, sagte sie zögernd, und Kerwin spürte, daß sie jetzt unter dem geöffneten darkovanischen Mantel die terranische Uniform erkannt hatte. »Nein, bitte, geht nicht. Wenn Kennard hier wäre …«
»Tani, was soll das?« fiel eine helle, harte Stimme ein, und in der spiegelnden Glasscheibe erblickte Kerwin einen Mann, der auf sie zukam. Er wandte sich dem Neuankömmling zu und fragte sich – so wahnsinnig war die Welt geworden – ob er ein Spiegelbild seiner selbst finden werde. Aber dem war nicht so.
Der Mann war groß und schlank mit heller Haut und dichtem, rotgoldenem Haar. Kerwin verabscheute ihn schon, bevor er in ihm den Rothaarigen erkannte, mit dem er jene kurze und unbefriedigende Begegnung in dem Restaurant gehabt hatte. Der Darkovaner erfaßte sofort, was vorging, und sein Gesicht nahm den Ausdruck entrüsteter Wohlanständigkeit an.
»Ein Fremder hier, und du allein mit ihm, Taniquel?«
»Auster, ich wollte doch nur …«, protestierte das Mädchen.
»Ein Terranan !«
»Zuerst hielt ich ihn für einen von uns, vielleicht von Dalereuth.«
Der Darkovaner ließ Kerwin einen verächtlichen Blick zukommen. »Er ist ein arkturianischer Eidechsenmensch, jedenfalls hat er mir das gesagt«, höhnte er. Dann sprach er schnell auf das Mädchen ein. Kerwin erkannte, daß es dieselbe Sprache war, die sie benutzt hatte, aber er konnte kein einziges Wort verstehen. Doch das war auch nicht notwendig; Ton und Gesten sagten ihm alles, was er zu wissen brauchte. Der Rothaarige war verdammt wütend.
Eine tiefere, angenehmere Stimme unterbrach ihn. »Komm, komm, Auster, so schlimm kann es doch gar nicht sein. Taniquel, erzähl mir, um was es hier geht, und halte mich nicht zum besten, Kind.« Die Stimme gehörte einem weiteren rothaarigen Mann, der eben eingetreten war. Woher kamen sie heute abend nur alle? Dieser hier war ein schwergebauter, stämmiger Mann, groß und stark. Sein rotes Haar hatte graue Streifen, und sein Gesicht war von einem kurzgeschnittenen, ergrauenden Bart umgeben. Seine Augen verschwanden beinahe hinter Brauenwülsten, die man fast schon als Deformierung bezeichnen konnte. Er ging steifbeinig und stützte sich auf einen dicken Spazierstock mit Kupferknauf. Jetzt sah er Kerwin gerade an und sagte: » S’dia shaya; ich bin Kennard, Dritter in Arilinn. Wo ist Eure Bewahrerin?«
Kerwin war sicher, daß er Bewahrerin sagte. Es war ein Wort, das auch mit Wärterin oder Hüterin übersetzt werden konnte.
»Für gewöhnlich läßt man mich ohne Hüterin hinaus«, stellte er trocken fest. »Wenigstens bisher.«
Schnell und spöttisch fiel Auster ein: »Auch du irrst dich, Kennard. Unser Freund ist ein – ein arkturianischer Krokodilmensch, das behauptet er wenigstens. Aber wie alle Terraner lügt er.«
»Terraner!« rief Kennard aus. »Aber das ist unmöglich!«
Kerwin hatte genug. Er erklärte scharf: »Das ist nicht nur nicht unmöglich, es ist die reine Wahrheit. Ich bin ein Bürger von Terra. Aber ich habe meine ersten Kinderjahre auf Darkover verbracht, und ich habe gelernt, an diese Welt als an meine Heimat zu denken und die Sprache zu sprechen. Wenn ich hier eingedrungen bin oder jemanden beleidigt habe, nehmt meine Bitte um Entschuldigung
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