Die Blutlinie
blicke ihm in die Augen. »Hör zu, Alan. Ich muss dir etwas sagen, etwas sehr Schlimmes. Du musst dich zusammenreißen, hörst du? Ich werde mich darum kümmern.«
Er spricht nicht. Es steht alles in seinen Augen, das einsetzende Erschrecken, das einsetzende Begreifen.
»Er hat Elaina und Bonnie«, sage ich.
Meine Hände liegen immer noch auf seinen Schultern, und ich spüre, wie die mächtigen Muskeln sich verkrampfen,wie sein ganzer Leib einmal erschauert. Ein Ruck geht durch ihn hindurch. Sein Blick weicht dem meinen nicht eine Sekunde lang aus. »Er hat alle beide, und er will mich. Wir fahren jetzt zu ihm. Wenn wir dort sind, werden wir ihn töten, was auch immer es kostet, und sie retten.« Ich halte seine Schultern gepackt, grabe meine Finger geradezu in sie hinein. »Verstehst du, was ich sage, Alan? Ich werde mich darum kümmern.«
Er sieht mir unverwandt in die Augen. James beobachtet uns schweigend.
»Er wird sich das Leben nehmen und dich mit sich reißen«, sagt Alan schließlich.
Ich nicke. »Ich weiß. Ich schätze, ich muss schneller sein als er.«
Er greift nach oben, nimmt meine Hände. Hält sie für eine Sekunde. Mein Gott, er hat so riesige, harte Hände. Trotzdem ist seine Berührung sanft. »Sei schneller, Smoky.« Seine Stimme bricht.
Er lässt meine Hände los, tritt zurück. Zieht seine Waffe, überprüft das Magazin, setzt sich in Richtung Wagen in Bewegung »Fahren wir«, sagt er.
Er biegt sich, doch er bricht nicht.
Aber wir brechen ihn?, fragt der Drache in mir. Wir zerquetschen ihn?
Es ist eine rhetorische Frage, deswegen antworte ich nicht.
Auf dem Weg zu Hillsteads Haus rufe ich Tommy an.
»Beschattest du mich immer noch?«, frage ich.
»Klar.«
»Es hat sich etwas Neues ergeben.« Ich bringe ihn auf den neuesten Stand.
»Was soll ich tun?«
»Ich möchte, dass du zu seinem Haus fährst und dort wartest. Wenn du ihn allein nach draußen kommen siehst, dann ist er uns entwischt.«
»Und?«
»Und wenn das geschieht, möchte ich, dass du ihn ausschaltest.«
Eine lange Pause. Schließlich antwortet er auf die für ihn übliche Weise. »Wird gemacht.«
»Danke, Tommy.«
»Hey, Smoky. Lass dich nicht erschießen.« Er zögert. »Ich möchte immer noch herausfinden, ob das mit uns zu irgendetwas führt.« Dann legt er auf.
Wir steuern in die Auffahrt. Alles sieht normal aus. Nett und still, der Inbegriff einer Vorstadtidylle. Als ich den Motor abstelle, klingelt mein Mobiltelefon.
»Barrett.«
»Sie sind vor der Zeit eingetroffen, Smoky. Ich bin ja so stolz auf Sie! Nun werde ich Ihnen sagen, wie es funktioniert. Sie werden durch die Vordertür hereinkommen. Ihre Freunde werden draußen bleiben. Sollte irgendetwas anderes passieren, werde ich Elaina und die kleine Bonnie töten. Ist das klar?«
»Klar.«
»Dann kommen Sie jetzt rein!«
Die Verbindung bricht ab. Ich ziehe meine Pistole, überprüfe sie, lasse sie in der Hand. Mein dunkler, glatter, stählerner Todesengel. Ich kann beinahe hören, wie er summt.
»Ich gehe rein, ihr bleibt draußen. Das sind seine Regeln.«
»Ich will diesen Scheiß nicht hören!«, sagt Alan. Verzweiflung macht seine Stimme schrill.
Ich sehe ihn an. Sehe ihn richtig an. »Ich werde mich darum kümmern, Alan.« Ich lasse ihn meinen Drachen sehen, hören. Hebe die Waffe. »Ich schieße nicht vorbei.«
Er sieht mich an, betrachtet meine Pistole. Leckt sich die Lippen. Sein Gesicht ist grimmig entschlossen und hilflos, ein vergeblicher Widerstreit, und voll rasender Wut. Schließlich schluckt er und nickt. Ich sehe zu James hin. Auch James nickt.
Was soll ich sonst noch sagen? Ich wende mich von ihnen ab, die Ziehhand an der Seite, und gehe den Weg zu Hillsteads Haustür hinauf. Ich lege die linke Hand auf den Türknauf und drehe. Das Herz hämmert mir bis zum Hals, und das Blut rauscht durch meine Adern. Ich spüre Angst und Vorfreude zugleich. Ich betrete Hillsteads Haus und schließe die Tür hinter mir.
»Kommen Sie nach oben, meine liebe Smoky!«, höre ich Hillstead sagen. Seine Stimme kommt aus dem ersten Stock.
Ich steige langsam die Treppe hinauf. Über meinen Rücken rinnen Schweißperlen. Ich komme oben an.
»Hier herein, Agent Barrett!«
Ich gehe zum Schlafzimmer, die Pistole schussbereit erhoben. Was ich sehe, lässt mich erstarren vor Angst, und genau dazu ist es gedacht.
Elaina ist ans Bett gefesselt. Sie ist nackt, Hände und Füße sind gebunden. Übelkeit steigt in mir auf, als ich sehe, dass er
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