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Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)

Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarwat Chadda
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1
    Der Kopf des Rottweilers lag in einem Gebüsch gleich neben dem schneebesprenkelten Weg. Ein Auge war verschwunden und hatte nur eine blutverkrustete Höhle zurückgelassen. Die Zunge des Hundes hing dümmlich aus einem gebrochenen Kiefer hervor. Der Körper befand sich ein paar Meter entfernt; der Brustkorb war aufgerissen, so dass die Rippen grausig daraus hervorragten.
    Billi barg das Gesicht hinter ihrem Ärmel. Die kalte Nachtluft war in diesem frostigen Januar frisch, aber der Kadaver stank nach hervorgequollenen Gedärmen. Der Hund war groß und kräftig gewesen, aber seine Größe hatte ihn nicht davor bewahrt, in Stücke gerissen zu werden.
    »Na?«, fragte Pelleas, während er den Weg weiter absuchte und den Schein seiner Taschenlampe über den Boden schweifen ließ. Sie standen am Waldrand; auf der einen Seite befanden sich Dornbüsche, auf der anderen eine niedrige Hecke, die ein weiß überzuckertes Feld begrenzte. Die dichten Schneewolken des Tages waren verflogen und hatten den samtschwarzen Himmel verschwommen vom Licht der Sterne und der Mondsichel zurückgelassen. Über London sah der Himmel nie so aus: riesengroß und unendlich tief.
    Billi brach einen Zweig ab und steckte sich damit die langen schwarzen Haare zu einem lockeren Knoten auf. Sie beugte sich über den Kadaver und richtete ihre Taschenlampe auf die Wunden. Sie hatte die Bilder der anderen niedergemetzelten Opfer gesehen, aber das künstliche Auge der Linse hatte sie fern, ja unecht wirken lassen. Dies hier war so echt, dass es Übelkeit hervorrief. Sie stieß den Körper mit einem Stock an und verzog das Gesicht, als halb geronnenes Blut aus den klaffenden Rissen hervortrat. Die Wunden waren nicht von Messern verursacht worden – so viel war offensichtlich.
    Sie waren von Klauen gerissen worden.
    Ohne sie zu berühren, spreizte Billi vorsichtig die Hand über die Reihe von Wunden. Fünf gezackte Krallen waren durch die Eingeweide des Hundes gezerrt worden. Der Breite der Wunden nach zu urteilen war die Bestie groß. »Auf jeden Fall ein Mondsüchtiger«, sagte sie.
    Pelleas warf einen Blick über die Schulter. »Du meinst natürlich einen ›Werwolf‹.«
    »Natürlich.«
    Pelleas war pingelig und hielt nicht viel von dem Slang, in dem sie und die anderen Knappen sich unterhielten. Sie hatten einen reichhaltigen Wortschatz für die Unholde: Mondsüchtiger. Reißzahnfresse. Ziegenkopf. Casper. Die Liste war endlos, und jeder Knappe fügte etwas Neues hinzu. Billi richtete sich auf, rückte das Schwert zurecht, das sie am Gürtel trug, und ließ die Hand auf dem lederumwickelten Griff ruhen. Sie hatte ein Wakizashi mitgebracht, ein einschneidiges japanisches Kurzschwert. Es hatte ihrem Paten gehört, und sie hoffte, dass der Waffe noch etwas von seiner Kraft innewohnte. Sie zog die Klinge ein paar Zentimeter weit, gerade genug, um das Licht der Taschenlampe auf der tödlichen, spiegelblanken Oberfläche aufblitzen zu sehen, und rammte sie dann zurück in die Scheide.
    »War sie es?«, fragte Billi.
    Pelleas nahm den Kadaver in Augenschein. Er hatte einen Großteil seines Erwachsenenlebens auf der Jagd nach Mondsüchtigen verbracht; für ihn war eine Klauenwunde so individuell wie ein Fingerabdruck. Er steckte die Finger in die klaffenden Löcher und prüfte die Tiefe der Risse. Dann lächelte er grimmig.
    »Ja, es ist die Alte Graue«, sagte er und wischte sich die blutigen Finger im Schnee ab. »Endlich!« Pelleas kratzte sich am Arm und sah sich um. Er hatte die Werwölfin in Dartmoor fast erwischt, aber dann war sie doch entkommen und hatte Pelleas zum Andenken eine Narbe zurückgelassen, die von seinem Ellbogen bis zum Handgelenk verlief. Billi wusste, dass Pelleas sehr persönliche Gründe hatte, dieses Geschöpf zur Strecke bringen zu wollen. Er war nicht der Erste, der die Pflicht vorschob, um Rache nehmen zu können.
    Sie waren schon vier Monate lang auf der Jagd nach dieser Werwölfin und waren ihrer blutigen Spur von Cornwall durch Devon und den ganzen Südosten bis hierher gefolgt: Thetford Forest in East Anglia. Dreizehn Tote in fünf Grafschaften. Werwölfe waren eigentlich standorttreu und verließen ihr Revier nur, wenn sie etwas Besonderes – oder jemand ganz Besonderen – jagten.
    »Ich frage mich, ob sie nach einem Seher suchen«, sagte Billi, während sie ins Dickicht der Zweige starrte und nichts als Dunkelheit sah.
    »Nach noch einem wie Kay?« Pelleas klopfte sich mit dem Rapier gegen den Schenkel. »Das ist

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