Die Blutlinie
ich verrückt bin, meine ich. Schließlich ist morgen der Tag.
Der Tag, an dem ich entscheide, ob ich wieder zu meiner Arbeit beim FBI zurückkehre oder ob ich nach Hause gehe, mir eine Pistole in den Mund stecke und mir das Gehirn wegblase.
KAPITEL 2
»Haben Sie immer noch die gleichen drei Träume?«
Das ist einer der Gründe, warum ich meinem Seelenklempner vertraue, den man mir verordnet hat. Er macht keine Gedankenspielchen, tanzt nicht um die Dinge herum und versucht nicht, sich an mich heranzuschleichen und mich in die Enge zu treiben. Er geht geradewegs auf den Kern des Problems zu, ein direkter Angriff. So sehr ich mich beschwere und mich gegen seine Heilungsversuche wehre, das respektiere ich.
Er heißt Peter Hillstead und ist vom Aussehen her so ziemlich das genaue Gegenteil vom Freud’schen Stereotyp. Er ist ungefähr eins achtzig groß, hat dunkles Haar, ein attraktives Model-Gesicht und einen Körper, der mich bereits bei unserer ersten Begegnung erstaunt hat. Am beeindruckendsten sind jedoch seine Augen. Sie sind von einem derart leuchtenden Blau, wie ich es vorher noch nie bei jemand Brünettem gesehen habe.
Doch obwohl er wie ein Filmschauspieler aussieht, kann ich mir nicht vorstellen, dass es bei diesem Mann zu einer Übertragung kommt. Wenn man bei ihm ist, denkt man nicht an Sex. Man denkt an sich selbst. Er ist einer von jenen seltenen Menschen, die sich wirklich um diejenigen kümmern, mit denen sie es zu tun haben. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel, wenn man bei ihm ist. Wenn man ihm etwas erzählt, hat man nie das Gefühl, dass er mit den Gedanken woanders ist. Er schenkt einem seine volle Aufmerksamkeit. Er gibt einem das Gefühl, dass man das Einzige ist, was in seiner kleinen Praxis zählt. Das ist es, was es mir unmöglich macht, mich in diesen wunderbaren Therapeuten zu verlieben. Wenn man bei ihm ist, sieht man ihn nicht als Mann, sondern als etwas sehr viel Wertvolleres: als Spiegel der Seele.
»Die gleichen drei«, antworte ich.
»Welchen hatten Sie gestern Nacht?«
Ich rutsche ein wenig unbehaglich auf meinem Stuhl hin und her. Ich weiß, dass er es bemerkt, und ich frage mich, was es seiner Meinung nach über mich verrät. Ich bin ständig am kalkulieren und abwägen. Ich kann nichts dagegen tun.
»Den, in dem Matt mich küsst.«
Er nickt. »Konnten Sie hinterher wieder einschlafen?«, will er wissen.
»Nein.« Ich starre ihn an und sage nichts weiter, während er wartet. Heute ist keiner meiner kooperativen Tage.
Dr. Hillstead sieht mich an, das Kinn in der Hand. Er scheint über irgendetwas nachzudenken, wie ein Mann an einer Weggabelung. Welchen Weg auch immer er von hier aus einschlägt, es gibt keinen Weg zurück. Fast eine Minute vergeht, bevor er sich seufzend zurücklehnt und seinen Nasenrücken massiert.
»Smoky, wussten Sie, dass ich unter meinen Kollegen keinen besonderen Ruf als Therapeut genieße?«
Ich zucke zusammen bei seinen Worten, sowohl wegen der Vorstellung als auch wegen der Tatsache, dass er mir überhaupt davon erzählt. »Äh, nein. Das wusste ich nicht.«
Er lächelt. »Es stimmt. Ich vertrete einige kritische Standpunkte gegenüber meinem Berufsstand. Der wichtigste ist der, dass wir meiner Meinung nach über keine wirklich wissenschaftliche Lösung für die Probleme der menschlichen Seele verfügen.«
Was zur Hölle soll ich darauf erwidern? Mein Seelenklempner erzählt mir, dass der von ihm gewählte Beruf keine wirklichen Lösungen für psychische Probleme bereithält? Das klingt nicht gerade vertrauenerweckend. »Ich kann mir vorstellen, dass solch eine Ansicht auf Widerstand stößt«, sage ich. Es ist die beste Antwort, die mir auf die Schnelle einfällt.
»Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich sage nicht, dass ich denke, wir hätten überhaupt keine Lösungen für psychische Probleme.«
Und das, glaube ich, ist ein weiterer der Gründe, warum ich meinem Therapeuten vertraue. Er besitzt einen rasiermesserscharfen Verstand, bis hin zu dem Punkt des Hellsehens. Es schüchtert mich nicht ein. Ich verstehe es. Jeder wirklich begabte Verhörspezialist besitzt diese Fähigkeit. Vorauszuahnen, was sein Gegenüber über das denkt, was man zu ihm sagt.
»Nein. Was ich meine, ist Folgendes: Wissenschaft ist Wissenschaft. Sie ist exakt. Gravitation bedeutet, wenn Sie etwas fallen lassen, dann fällt es auch. Immer. Zwei plus zwei ist immer vier. Nicht-Varianz ist das Wesen jeder Wissenschaft.«
Ich denke darüber nach und
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