Die Blutnacht: Roman (German Edition)
…« Er verzog das Gesicht. »Wir haben Dinge gesehen, die man niemals sehen sollte.«
Frogier, den Mund mit Reis vollgestopft, grunzte zustimmend.
»Ein schlimmer Tag, aber er wird vorübergehen, wie es mit schlimmen Tagen ist«, fuhr Tannhäuser fort. »Und selbst an einem schlimmen Tag kann man schöne Augenblicke finden, wenn man nur gut hinschaut.« Er zermarterte sich das Hirn, um unter all den blutigen Bildern ein passendes Beispiel zu finden.
»Vielleicht, dass wir den Hund gerettet haben? Luzifer?«, schlug Juste vor.
»Genau, Juste.«
»Oder dass wir Clementine die Äpfel gegeben haben?«, meinte Flore.
»Genau, Flore, äh, Geneviève, sogar noch besser.«
Pascale sagte: »Und dass du Vater mit seiner Schürze bedeckt hast.«
Diese Worte waren aufrichtig gemeint, ließen aber die Gemeinde am Tisch wieder in die frühere trübsinnige Stimmung versinken.
»Bitte verlass uns nicht, Mattias«, sagte Flore.
Tannhäusers Brust fühlte sich an, als steckte sie in der Rüstung eines viel kleineren Mannes.
»Es wird nicht für lange sein«, sagte er. »Frogiers Schwester wird sich gut um euch kümmern. Wer könnte verlässlicher sein als eine Frau, die ihren Mann mit Gewinn an den Galgen geschickt hat?«
Frogier konnte als Einziger diesen Witz verstehen, und dessen Mund war zu voll, als dass er hätte lachen können.
Tannhäuser schenkte sich einen Becher Wein ein und trank ihn leer. Der Wein war gut.
»Jetzt werde ich, mit Frogiers Erlaubnis, essen.«
Tannhäuser setzte sich und nahm ein halbes Ei von der Platte. Als er es an den Mund hob, stellte sich die Speise als zu zart für seine groben Finger heraus, die Füllung rutschte heraus und klatschte auf seine Hemdbrust, um die Blutflecken zu verzieren.
Tybauts Mädchen brachen ihr langes Schweigen und lachten laut los.
Tannhäuser bezweifelte, dass irgendjemand an diesem Tag in Paris ein lieblicheres Geräusch gehört hatte.
Er übertrieb seine Überraschung, dann sein Entsetzen, keuchte erschreckt, weil er sein Hemd befleckt hatte. Er gab wohl einenguten Narren ab, denn das Kichern verdoppelte sich. Juste fiel ein. Tannhäuser schleuderte die leere Eihälfte durch die Tür auf die Straße und nahm sich ein zweites Ei.
Unendlich langsam führte er es an die Lippen. Schweigend beobachteten alle den Vorgang. Tannhäuser riss den Mund weit auf. Im letzten Augenblick drückte er das Eiweiß zusammen, und die Füllung aus Eigelb, Petersilie und Butter fiel ihm auf die Brust und gesellte sich zur ersten. Nun fiel auch Flores Stimme in die Heiterkeit ein, und Tannhäuser wandte sich nach links und zwinkerte Pascale zu, die den Kopf schüttelte, ihn aber mit einem zögerlichen Lächeln belohnte.
»Diese Eier sind verhext«, sagte er. »Anne, meine Liebe, gib mir ein Stück Pastete.«
Zur allgemeinen Freude reichte ihm Pascale ein drittes Ei.
Das Essen nahm einen fröhlichen Verlauf, und als Pascale anfing, Juste mit Reiskörnern zu bewerfen, und Tybauts Mädchen mitmachten, schimpfte Tannhäuser sie nicht aus. Er stillte den gröbsten Hunger und trank noch mehr Wein. Er schenkte Frogiers Becher immer randvoll, und Frogier sprach dem Wein eifrig zu. Tannhäuser bestellte Nachtisch. Der Koch servierte einige kleine Feigentörtchen mit Honig, einen Teller mit kandierter Orangenschale und einen Krug Milch. Während die jungen Leute damit beschäftigt waren, befragte er Frogier.
»Wenn Ihr einen Mann in mittleren Jahren sehen würdet, in Schwarz gekleidet, mit einer Goldkette auf der Brust, der einen Rotfuchs mit weißen Socken reitet, wen könntet Ihr dann sehen?«
Frogier saß nur noch halb auf seinem Schemel, denn er sah die Feigentörtchen verschwinden, die seine jungen Tischgefährten außerhalb seiner Reichweite hielten. Nun setzte er sich wieder und schaute wichtig.
»Dann sähe ich Marcel Le Tellier und würde hoffen, dass er mich nicht gesehen hat, wenn er mich wahrscheinlich auch längst bemerkt hätte, ehe mir nur sein Pferd aufgefallen wäre.«
Der Name überraschte Tannhäuser. Grégoire musste den Mann erkannt und es Juste gesagt haben. Und Juste und Tannhäuser hatten ihn beide missverstanden.
»Warum sollte man ihm aus dem Weg gehen?«
»Er würde Fragen stellen, die ich lieber nicht beantwortete, und mir Dinge auftragen, die ich lieber nicht täte.«
Tannhäuser lächelte über diese vorsichtige Kritik. »Erzählt mir alles, was Ihr über ihn wisst.«
»Was kann ein bescheidener Wachtmeister über die Taten der Mächtigen
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