Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
Vom Netzwerk:
Abwesenheit spreche ich für den Hauptmann.«
    »Ich rede nur mit ihm persönlich.«
    »Er ist in den sechzehnten Bezirk gerufen worden, ans andere Flussufer, da hat es ein grausiges Massaker an unseren wackeren Kameraden gegeben …«
    »Schickt jemanden und lasst ihn holen.«
    »Das könnte eine Weile dauern, Exzellenz.«
    »Wir warten.«
    »Wir werden belagert, Exzellenz, ich bin nicht sicher, ob ich einen Mann entbehren kann.«
    Tannhäuser stieß ihm den Gewehrkolben in die Brust. Bonnett grunzte, fiel mit dem Kopf voraus rückwärts vom Fass und verschwand. Vom Torhaus hinter ihm und von einer bunten Schar vonGaffern an den Fenstern der Häuser ringsum hörte Tannhäuser Gelächter. Die Straßenjungen johlten mit.
    »Schickt einen Mann nach ihm aus«, wiederholte Tannhäuser.
    Er wandte sich um und schlenderte zum Karren zurück. Er lächelte den Kindern zu. Frogier stierte ihn an.
    Pascale fragte: »Ist es nicht gefährlich, denen den Rücken zuzukehren?«
    »Wenn ich geblieben wäre, hätten Bonnett und ich uns nur angestarrt, und dann wären wir wieder am Anfang gewesen. Jetzt hat er die Wahl: Er kann Garnier holen lassen. Oder er kann über die Kette steigen und mir entgegentreten, einem Mann mit einem Gewehr. Und das würde ich Euch an den Gesichtern ablesen.«
    »Und wenn er sich einfach wieder auf sein Fass setzt und nichts macht?«, fragte Pascale.
    »Da können wir von Glück sagen, dass du nicht in der Miliz bist.«
    »Bonnett schickt jemanden«, berichtete Juste.
    »Warum hast du ihm nicht einfach gesagt, dass er uns durchlassen soll?«, fragte Pascale.
    »Ich will einen Passierschein von Garnier höchstpersönlich. Wenn er euch einmal verschont, dann macht er es wahrscheinlich wieder, wenn wir ihm noch mal über den Weg laufen.«
    Als Tannhäuser das Gewehr sicherte, bemerkte er, dass sie mit dem Karren vor einem Gasthaus standen. Es war geschlossen. Ein Mann schaute sich aus einem Fenster im Obergeschoss die Szene auf der Straße an.
    »Was kostet Essen für fünf Kinder und zwei treue Diener des Königs?«
    »Was kostet es die Seele eines Mannes, wenn er den Sabbat schändet …?«
    Frogier rief: »Jean, zwing uns nicht, die Tür einzutreten.«
    Sie gingen hinein, und Pascale zwang Juste zweimal, sich anderswo hinzusetzen. Zunächst hatte er einen Platz zu nah bei seiner Angebeteten beansprucht, worauf sie sich zwischen die beiden drängte. Dann bestand sie darauf, dass Tannhäuser sich zwischen sie und Flore setzte. Also musste Juste auf den frei gewordenen Platz auf derBank gegenüber ausweichen und hockte nun zwischen den Mäusen, so weit von seiner Liebsten entfernt, wie der Tisch es nur zuließ. Pascale zog die Glacéhandschuhe aus, die sie im Stall gefunden hatte. Flore starrte auf die Tinte an Pascales Fingern. Sie begann zu weinen. Juste erhob sich, als wollte er sie trösten, aber Tannhäuser schüttelte den Kopf.
    Frogier zog einen Schemel ans Kopfende des Tisches. Der Koch war trotz seiner Bedenken wegen des Sabbats schon geschäftig bei der Arbeit. Er hatte wohl sonst auch nicht viel Kundschaft, denn zusätzlich zu einer kalten Fleischpastete aus Schweinehack, Kleingeflügel und Kaninchenteilen trug er eine Platte mit warmen Käsetörtchen, einen Teller mit gefüllten Eiern, einen Reispudding mit dunklem Hühnerfleisch und einen Rindereintopf mit Innereien auf, an dem Tannhäuser nur schnupperte, den er aber aus Furcht vor der Ruhr gleich verwarf. Krüge voller Wein kamen.
    Tannhäuser bekreuzigte sich. Die Kinder saßen mit auf dem Schoß gefalteten Händen auf den Bänken. Sie waren von der allgemeinen Melancholie ergriffen und zeigten keinerlei Appetit. Tannhäuser bekreuzigte sich erneut. Frogier begann, Reispudding auf seinen Teller zu häufen. Tannhäuser fühlte sich verpflichtet, die Stimmung bei Tisch aufzuhellen.
    »Ich bin dankbar für die Gelegenheit, dieses unerwartete Essen mit euch zu genießen«, begann er.
    »Weil es unsere letzte Gelegenheit zusammen ist?«, fragte Pascale.
    Flore unterdrückte ein Schluchzen.
    »Unsinn«, sagte Tannhäuser. »Es ist die erste von vielen, in unserem Fall sogar die zweite. Da, seht ihr? Wir werden alle möglichen Mahlzeiten zusammen essen. Und eines Tages werden wir zurückblicken und sagen: ›Wisst ihr noch, als wir am Petit Pont am Bartholomäustag gefüllte Eier gegessen haben?‹«
    »Wir werden uns an zu viele andere Dinge erinnern müssen«, meinte Pascale.
    »An viele, aber nicht zu viele. Wir haben alle liebe Menschen verloren

Weitere Kostenlose Bücher