Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Zögern Tausende zur Place de Grève geschickt und noch viele mehr in die Verliese.«
»Spione«, sagte Pascale. »Dafür ist er auch bekannt.«
»Stimmt.« Frogier funkelte sie an. »Von Anfang an hatte er seine Schnüffler. Viehtreiber, die Metzger verpfiffen, Ehefrauen, die ihre Männer verrieten. Selbst Rechtsanwälte ihre Mandanten, kann man das glauben?«
»Warum sollte das eine Überraschung sein?«, fragte Pascale.
»Deswegen haben sie ihn zum Commissaire befördert. Er wusste mehr als drei andere Commissaires zusammen – eher sechs, denn was ist schließlich ein Commissaire ? Ein Mann, der gern zu Hause sitzt, während seine Sergents draußen die Gelder eintreiben, damit er Schmuck für seine Frau kaufen kann. Marcel hat ein Netz von Spionen überall in der Stadt, das so ausgedehnt und verzweigt ist, dass die meisten nicht einmal wissen, dass sie für ihn arbeiten. Wenn sich fünf Männer auf einen Schwatz in einem Gasthaus treffen, ist einer immer in Marcels Lohn.«
»Vielleicht auch Ihr«, sagte Pascale.
»Und vielleicht du auch, denn du bist eine freche junge …« Frogier bemerkte Tannhäusers Blick, »… Dame. Ich habe meine eigenen Herren, und in wessen Tasche die stecken, kann ich nicht sagen, obwohl, wenn ich das sagen darf, Exzellenz, wenige so freundlich sind wie Ihr.«
»Ich hätte ihm das Törtchen nicht gegeben«, sagte Pascale zu Tannhäuser.
Tannhäuser nickte, war aber mit seinen Gedanken weit weg. Er war also in das Netz des Marcel Le Tellier verstrickt. Aus den vielen Rätseln war ein einziges geworden. Der Portier, Petit Christian, Dominic Le Tellier, Orlandu, seine eigene Verhaftung : Dieser Zusammenhang war zumindest gewiss. Die Verwüstung des Hôteld’Aubray zu einer Zeit, in der außer im Louvre kaum irgendwo Unrecht verübt wurde. Marcels Netz reichte auch dorthin. Dann war es ein großes, kompliziertes Muster, sogar für ihn. Warum sollte sich jemand solche Mühe machen?
Eine mögliche Antwort war, dass Marcel im Auftrag eines anderen handelte. Im korrupten Umfeld des Châtelet war er ein Großer. Aber der Louvre war voller großer Herren, für die er immer nur der Sohn eines Fischhändlers bleiben würde. Sie konnten sich mit einem einzigen falschen Lächeln einen Lieutenant Criminel kaufen. Auch außerhalb des Hofes wimmelte es in Paris vor Männern mit Geld und Macht.
Tannhäuser rieb sich die Augen.
Immer noch hatte das Rätsel tausend mögliche Lösungen. Nur Orlandu konnte der Schlüssel sein. Worauf hatte sich Orlandu eingelassen? Und warum erforderte diese Sache, dass man Carla ermordete? Liebe, Politik oder Geld. Kein gewöhnliches Verbrechen, nicht einmal Mord wäre so viel Mühe wert, es sei denn, dieses Verbrechen hatte in jemandem äußerste Rachlust entfacht. Wenn man Orlandus Mutter tötete, würde ihm dies sicherlich Schmerz zufügen. Er musste Orlandu fragen. Besser noch: Marcel Le Tellier.
»Wo lebt Marcel?«, fragte er.
»In Les Halles«, antwortete Frogier. »Er hat ein altes Stadthaus gekauft, am Fluss westlich von Saint-Denis, beim Schlachthof von Crucé. Das kennt jeder. Er hätte ein viel besseres haben können, aber wir denken, er kann ohne den Gestank nicht schlafen.« Frogiers Furchtsamkeit tauchte wieder aus dem Nebel des Weins auf. »Ihr werdet Euch doch nicht mit Le Tellier anlegen?«
»Gott behüte. Freunde im Louvre haben mich schon vor dem Mann gewarnt, ganz diskret, versteht sich. Ich hatte einfach den Namen vergessen.«
Juste schien vor Fragen beinahe zu platzen.
Tannhäuser ermunterte ihn. »Juste, du warst doch im Louvre.«
»Ja, Sire. Ich habe da einen Gardehauptmann gesehen, den sie Dominic Le Tellier nannten…«
»Marcels Sohn«, nuschelte Frogier. »Obwohl manche das bezweifeln, denn er ist so dumm wie Brot. Marcel hat seine Frau so geliebt, dass er nie wieder geheiratet hat. Eine große Schönheit, ichhabe sie einmal gesehen, aber sie ist dahingesiecht und gestorben. Ihr Bruder – den sie sehr geliebt hat, sagt man – hat ein schlimmes Ende genommen. Aufs Rad geflochten, hört man. Ihretwegen trägt er Schwarz, ich meine wegen der Frau. Lässt jeden Freitag für sie in Saint-Jacques eine Messe lesen.«
Ein Sergent erschien in der Tür. »Alois? Bernard Garnier ist bei der Kette.«
Tannhäuser zerrte Frogier auf die Beine. Er schaute zu den anderen.
»Bleibt hier, bis ich euch rufe. Und du zieh die Handschuhe an.«
Fähnrich Bonnett drückte sich jammernd ans Fass, als sich Hauptmann Garnier, die riesigen Fäuste
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