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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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und stellte fest, dass es genau die Art von Gasthaus war, in dem sich ein Rechtsanwalt aus der Provinz sicher fühlen würde: so steif und förmlich, dass man nicht übermäßig lange bleiben wollte, aber ordentlich und sauberer als die meisten.
    Frogiers Schwester Irène war eine zart gebaute Frau Mitte vierzig, adrett und mit flinken blauen Augen, die Tannhäuser mit einem schlauen Blick musterten, den ihr Gewerbe geschärft hatte. Er raffte seinen Charme zusammen, stellte sich nur mit seinen echten Titeln vor und entschuldigte sich für seine zerzauste, hoffentlich nicht zu furchterregende Erscheinung.
    Sie gab mit einem Hauch von Vorwurf zur Antwort, dass dies schließlich kein gewöhnlicher Sonntag sei. Die Bürgermiliz hatte am Morgen das Gasthaus durchsucht und zwei Gäste mitgenommen, die nicht mehr wiedergekehrt waren. Er ahnte, dass sie die Auswirkungen auf ihr zukünftiges Geschäft an diesem Sachverhalt am meisten beunruhigten. Er selbst war froh, dass die Miliz die Straße bereits gesäubert hatte und folglich keinen Grund zu einem weiteren Besuch hatte. Als Frogier Irène fragte, wo man das Gepäck der vermissten Gäste finden könnte, warf sie ihm einen ärgerlichen Blick zu, mit dem ihr Bruder vertraut zu sein schien.
    Tannhäuser legte seine Wünsche dar. Übernachtung und Essen für fünf erschöpfte Kinder, die das Gebäude nicht verlassen sollten, ehe er zurückgekehrt war, was hoffentlich noch in der Nacht sein würde. Bernard Garnier hatte ihnen seinen Schutz zugesichert. Ein Zimmer würde für alle reichen. Für das Zimmer im ersten Stock mit Blick auf den Fluss würde er zahlen, was immer sie mit ihrem christlichen Gewissen vereinbaren konnte. Er würde ein zweites Zimmer im ersten Stock für sich reservieren, das er hoffentlich mit seinem Sohn Orlandu teilen würde. Sollte sie dafür andere Gäste bitten müssen, in ein anderes Zimmer zu ziehen, würde er diese durch sie dafür entschädigen. Und falls ein barfüßiger Junge mit einer Hasenscharte, ein Junge namens Grégoire, auftauchen sollte, möge sie ihn bitte freundlich aufnehmen und zusammen mit den anderen unterbringen.
    Sie wurden handelseinig, wie erwartet zu einem überhöhten Preis, aber er feilschte nicht.
    Tannhäuser überprüfte das erste Zimmer und fand es zufriedenstellend, die beiden Betten mehr als ausreichend. Aus dem offenen Fenster sah er, dass hinter dem Haus ein Gemüsegarten war. Jenseits davon lagen ein schmaler, gepflasterter Kai und die Seine. Er bemerkte, dass zwar auf dem Sand des anderen Ufers viele Boote eng gedrängt festgemacht waren, aber dieses Ufer und seine Kais leer waren, bis auf zwei Kähne, die etwa dreißig Schritt entfernt vor Anker lagen.
    Am anderen Flussufer konnte er tatsächlich die Place de Grève sehen, wo Gruppen von bewaffneten Männern scheinbar ziellos umherwanderten. Man hatte zwei Karren zum Ufer gezogen, beidebis obenhin mit Leichen angehäuft. Vier Männer mit nackten, in der Sonne glänzenden Oberkörpern schleuderten die Leichname ins Wasser. Manche waren so klein, dass nur ein Paar Hände notwendig war.
    Er weckte die Kinder im Karren so weit auf, dass sie, wie Irène verlangte, die Schuhe vor der Tür ausziehen und die Treppe zu ihren Betten hoch stolpern konnten.
    Tannhäuser zog Juste und Pascale in die Abgeschiedenheit des Wohnzimmers. Sie setzten sich an den Tisch und sprachen leise, als er ihnen ihre Lage erklärte, die ihm unter den gegebenen Umständen nicht schlecht zu sein schien.
    Er wies Pascale an, außerhalb des Zimmers immer Handschuhe zu tragen, auch bei Tisch, und als Grund eine Hautentzündung anzugeben.
    Eins machte ihm Sorgen: Wieder einmal würde er seine Schusswaffen in ihrer Obhut lassen, betonte aber ausführlich, wie gefährlich diese waren und dass sie sie unbedingt vor Irène versteckt halten mussten.
    Er gab ihnen einige kleine Münzen.
    Er erzählte ihnen von dem Opium in den Satteltaschen, das sie in kleinen Stücken an Apotheker verkaufen konnten, zum Dreifachen von dem Preis, den ihnen diese Leute zuerst anboten.
    Dann gab er ihnen alle seine doppelten Goldpistolen, bis auf eine, so dass jeder vier hatte.
    »Haltet auch die geheim«, sagte er. »Näht sie in eure Kleider. Jede ist eine halbe Unze reines Gold, vierhundert Sols wert. Aber wenn ihr kein Pferd kauft, sind die Münzen viel zu groß, um sie auszugeben. Wenn ihr sie in Écus d’or oder kleinere Münzen umtauscht, wird jeder, der das bewerkstelligen kann, euch wegen eurer Jugend

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