Die Blutnacht: Roman (German Edition)
übervorteilen, und vielleicht müsst ihr bis auf dreihundertsechzig oder -sechsundsechzig heruntergehen.«
»Warum sollten wir sie wechseln müssen?«, fragte Juste.
Pascale sagte: »Weil er vielleicht nicht wiederkommt.«
»Das stimmt«, sagte Tannhäuser. »Ich habe euer Zimmer und Essen für drei Nächte bezahlt. Wenn ich bis dahin nicht zurück bin, bin ich tot. Oder in einem Gefängnis, aus dem ich so schnellnicht entkommen kann. Beides ist unwahrscheinlich, denn ich bin in Laune.«
»In Laune?«, fragte Pascale.
»In Mordlaune«, erklärte Juste.
»In diesem Fall, wenn ihr keine mächtigen Verbündeten habt, von denen ihr mir nichts erzählt habt, und falls ihr euch«, sagte er und warf Pascale einen scharfen Blick zu, »bis dahin Mühe gegeben habt, Irènes Respekt und ihre Zuneigung zu gewinnen, solltet ihr vor allem ihr vertrauen, besonders in finanziellen Dingen.«
»Was ist mit Frogier?«, fragte Pascale.
»Frogier hat andere Dinge im Kopf. Verlasst euch auf Irène. Er hat Angst vor ihr.«
»Dann werden wir also allein sein«, sagte Juste.
»Andere sind schon auf steinigerem Grund gediehen. Ihr schafft das auch.«
»Was würdest du machen, wenn du an unserer Stelle wärst?«, fragte Pascale.
»Ich würde Paris verlassen. Hier ist nichts für euch zu holen. Sie werden das Eigentum eures Vaters beschlagnahmen. Früher oder später würden sie herausfinden, dass ihr die Töchter des Druckers seid, und dann hängen sie euch auf.«
Sie nickte, als sei sie zum gleichen Ergebnis gekommen.
Er schaute zu Juste. »An deiner Stelle würde ich die Töchter des Druckers mit nach Polen zurücknehmen.«
»Das ist sehr weit weg.«
»Und viele Hände würden sich gegen euch erheben«, stimmte ihm Tannhäuser zu. »Aber in deinem Alter bin ich weiter gereist, und ich war nicht auf dem Weg nach Hause. Ihr könntet in eine protestantische Hochburg fliehen, wie so viele andere es getan haben. Nach La Rochelle. In die Niederlande. Aber das sind alles Scheiterhaufen, die bald jemand anzünden könnte. England? Die Engländer sind nicht solche Barbaren, wie allgemein angenommen wird. Mein bester Freund war Engländer, obwohl er aus dem Norden stammte und leider ein Barbar durch und durch war. Oder ihr könntet euch taufen lassen.«
Pascale sagte: »Warum in eine Kirche eintreten, die uns lieber verbrennen würde?«
»Wir könnten es bis Polen schaffen, wenn wir auch Grégoire bei uns hätten«, meinte Juste.
»Der wäre ein mächtiger Kampfgefährte, aber ihr müsst ihn fragen. Ein letztes Wort der Warnung. Wenn ihr allein seid und eine lange Reise vor euch habt, lasst die Mäuse hier bei Irène und gebt der Frau eine doppelte Goldpistole. Bis sie das Gold aufgezehrt haben, arbeiten sie bestimmt schon hier für sie, und sie will sie nicht mehr gehen lassen. Sie sind dazu abgerichtet, anderen zu Gefallen zu sein. Sie werden durchkommen.«
Juste konnte seine Bestürzung nicht verhehlen. »Aber sind sie nicht unsere Verbündeten?«
»Ja, sie sind unsere Verbündeten«, sagte Tannhäuser, »doch ohne mich seid ihr eine ganz andere Gruppe, und wenn ihr die Mäuse mitnehmt, wird keiner von euch überleben.«
Pascale musste nicht überzeugt werden. Juste ließ einfach den Kopf hängen.
»Die Mäuse werden niemals in unserer Welt leben, denn sie haben Schrecken gesehen und erlebt, die keine lebende Seele je mitmachen sollte. Sie werden sich auf Erden nie wieder davon erholen. Trotzdem haben sie überlebt. Trotz allem können sie noch lachen.«
Juste dachte darüber nach. Er hob den Kopf nicht. Vielleicht dachte er an die Mäuse, wie sie Tybauts Leiche in das Hospital des Hôtel-Dieu zerren wollten. Tannhäuser versuchte es sich vorzustellen. Wenn ein solcher Anblick sinnvoll erschien, stand es wirklich verzweifelt schlecht um die Welt.
»Lasst also den Mut der Mäuse ihr Geschenk sein«, sagte Tannhäuser. »An euch und an mich. In einer reineren Form werden wir Mut nicht mehr sehen.«
Juste schaute ihn an.
»Ihr habt recht. Sie sind die Mutigsten. Ich nehme ihr Geschenk und werde es hegen. Aber genau deswegen kommt es mir falsch vor, sie hier zurückzulassen.«
»Treue ist eine feine Eigenschaft, aber wenn sie den Treuen tötet, dann ist es eine zweifelhafte Tugend.«
»Wie bei meinen Brüdern.«
Das Beispiel war Tannhäuser nicht eingefallen. Er nickte. Da Justedas traurige Thema angesprochen hatte, stellte ihm Tannhäuser die Frage, die sich daraus ergab.
»Sag mir, hatte Dominic Le Tellier etwas damit
Weitere Kostenlose Bücher