Die Blutnacht: Roman (German Edition)
der Grymonde Angst machen konnte.
»Eure Besorgnis um meine Sicherheit rührt mich. Ich sorge mich um einen wohlgeborenen Herrn, der hier in Satans Werkstatt umherirrt.«
»So wie Ihr es meint, ist Mattias weder wohlgeboren noch ein Herr. Beim Kämpfen steht er Altan Savas in nichts nach; ich sage nur nicht, dass er besser ist, weil ich Altans Andenken nicht schmälern will. In jeder anderen Kunst, die der Krieg oder das Überleben erfordern, sucht Mattias seinesgleichen.«
Grymonde erinnerte sich an die drei im Duell getöteten Polen, eine Einzelheit, die er lieber verdrängt hatte. Polen galten ja als zähe Kerle. Er spitzte die Lippen.
»Ich will Eurem Wort vertrauen, was seine Kühnheit angeht. Aber erst müssen wir den Mann ja einmal finden.«
»Er würde Euch finden, und wärt Ihr in den tiefsten Schlünden der Hölle verborgen.«
Ihre ruhige Überzeugung machte ihn nervös. Vielleicht konnte er nun seinerseits sie nervös machen.
»Ich habe eine Frage, die Euch vielleicht beleidigt, aber ich muss sie stellen.«
Carla nickte.
»Ist es möglich, dass Euer Mann Euren Tod will?«
»Nein. Beim Leben dieses Kindes.«
Grymonde antwortete: »Das müsst Ihr vielleicht aufs Spiel setzen.«
»Ich habe schon vor langer Zeit alles, was ich bin, auf Mattias gesetzt.«
Alice funkelte Grymonde an. »Höre einmal in deinem Leben auf jemand anderen. Carla will nicht, dass ihr Mann dir an die Kehle geht. Oder du ihm.«
»Mattias war noch nie in Paris«, sagte Carla. »Ich glaube zwar, dass er Euch finden könnte, aber ich denke auch, dass Ihr ihn unter Umständen eher findet. Ein Brief von mir würde Euch beide vor Schaden schützen.«
Grymonde nickte besänftigt, weil man endlich seiner Kampfkraft Tribut zollte.
Alice sagte: »Carla, gib ihm eine Nachricht mit, die nur von dir kommen kann. Etwas, das man dir nicht mit Gewalt abringen könnte.«
Carla schaute auf ihr Kind, dann in die Ferne.
Sie wandte sich an Grymonde.
»Sag ihm: Eine neue Nachtigall wartet auf deine Dornen .«
»Eine neue Nachtigall wartet auf seine Dornen?«, wiederholte Grymonde.
»Ja, genau.«
»Ein Rätsel.« Grymonde zuckte die Achseln. »Wir wollen hoffen, dass er einen scharfen Verstand hat.«
»Wir machen uns mehr Gedanken um deinen Verstand«, sagte Alice. »Du weißt, was zu tun ist, jetzt geh. Und lass dich nicht von falschen Schatten täuschen. Der Gaukler ist unterwegs.«
»Du hast die Karten gelegt?«
»Dir wären die Haare zu Berge gestanden.«
»Du hast recht mit dem Gaukler«, sagte er. »Sonst noch was?«
»Der Narr weist den Ausweg, wenn es einen gibt. Der Abgrund ist näher, als du denkst. Was immer du vorhast, du weißt sogar noch weniger, als du denkst. Und wenn du nicht alles wissen kannst, dann ist es besser, wenn du nichts weißt. Dann siehst du, was unmittelbar vor deiner Nase ist.«
»Noch mehr Rätsel.«
»Ich kenne dich. Versuche nicht zu schlau zu sein. Denke mit dem Bauch, nicht mit dem Kopf.«
Grymonde schaute Carla ratsuchend an. »Wie sieht dieser Ehemann denn aus?«
»Mattias ist vierundvierzig Jahre alt, zwei Zoll größer als Ihr, und sein Haar ist wie Bronze. Wenn er Euch anschaut«, sagte Carla und benutzte die gleiche Geste, mit der Grymonde selbst auf sein Gesicht gedeutet hatte, »dann wird all dies ihn nicht entsetzen. Alles andere, was ich von ihm gesagt habe, seht Ihr in seinen Augen, die blau sind.«
»Das reicht mir.«
»Woher wisst Ihr, dass er in Paris ist?«
»Wir haben jetzt genug gehört, Liebes«, mahnte Alice. »Du brauchst deinen Schlaf.«
Carla dachte darüber nach und nickte.
»Kann ich Euch Fleisch oder etwas zu trinken bringen?«, fragte Grymonde.
Carla schüttelte den Kopf. Grymonde ging zur Tür.
»Grymonde«, sagte Carla. »Danke. Und viel Glück.«
Grymonde nickte. »Eine neue Nachtigall wartet auf seine Dornen.«
In seinem Zimmer nebenan lud er die Pistole neu und verbarg zwei weitere Messer, eines am linken Unterarm, das andere im linken Stiefel. Als er die Treppe hinunterging, sah er die Karten auf dem Tisch liegen. Sein Bauch sagte ihm, er sollte weitergehen. Es waren nicht seine Karten. Aber Alice hatte wahrscheinlich eine Frage gestellt, die ihn betraf, und er kannte schon den größten Teil der Antwort. Der Narr und der Gaukler waren im Spiel. Welche Karte lag an erster Stelle?
Er ging hin und schaute nach.
Die Karte der Fragenden war die Anima Mundi.
Er war sich sicher, dass es Carla gewesen war.
Ihre Karten trafen ihn mitten ins Herz.
Das
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