Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Gericht. Der Turm. Der Tod.
Grymonde machte sich auf in den Süden zum Blinden Pfeifer.
»Weißt du«, fragte Paul, »wie viel Geld sich aus Scheiße machen lässt und nur auf dich wartet?«
Auf seine Weise war Papst Paul kaum weniger grotesk anzuschauen als Grymonde. Er trug eine purpurrote Robe aus feiner Seide, die er mit gleichen Mengen von Parfüm und Schweiß tränkte. Er wog wohl an die vierhundert Pfund, und das Fett ließ seine Arme unter den Achselhöhlen hervorquellen wie die Gedärme aus einem frisch geschlachteten Schwein. Sein Bauch ruhte wie eine breite, widerliche Schürze auf den massigen Schenkeln. Über dem Bauch wölbten sich fette Brüste, und seine Wangen hingen ihm schlaff auf Hals und Schultern. Der Kopf schien im Vergleich zu dem ungeheuerlichen Körper winzig. Der Mann war wohl über fünfzig Jahre alt, aber das Fett blähte seine Züge zu jugendlichem Glanz. Er war beinahe ganz kahlköpfig, die Überreste seines Haars fielen ihm in strähnigen Locken über die Ohren.
Grymonde wartete auf den Rest der Vorstellung.
»Man muss nur die Zahlen anschauen«, fuhr Paul fort.
»Und Ihr seid ein Mann der Zahlen.«
»Nur die Zahlen sind beständig, sonst ist alles im Fluss. Zahlen sind die Zukunft. Lass dir zeigen, wie man zu einer großen Zahlkommt. Wie wir alle wissen, wird diese Stadt schon bald in der Scheiße versinken, also wird das Bureau de Ville dafür zahlen, dass sie entfernt wird. Da draußen in der Wildnis machen die Bauern noch mehr Geld locker, damit sie die Scheiße auf ihre Felder bringen können. Vorsichtig geschätzt, sagen wir mal, wir erzielen nur einen weißen Franc pro Wagenladung. Wer würde all die Scheiße für einen Franc schaufeln? Manchen würde das zu einem guten Leben reichen, aber Leuten wie uns? Doch jetzt hör dir die Zahlen an. Ein Gelehrter hat – frag mich nicht, wie – ausgerechnet, dass an einem einzigen Tag dreihundert Leute so viel scheißen, dass es einen Wagen füllt. Lass uns nicht wieder zu gierig sein. Für die ganze Stadt sind das, sagen wir mal, achthundert, nein, halbieren wir die Zahl, vierhundert Wagenladungen am Tag. Zieh die Feiertage, Festtage und so weiter ab, dann bleiben an die dreihundert Tage im Jahr. Hast du eine Vorstellung, wie viele Francs das geben würde?«
»Gerade genug für eine Woche Essen und Wein für Euch.«
Paul lachte. Er lehnte sich auf einem großen Sofa zurück, das von massiven Holzblöcken gestützt wurde und mit einem silbrigen Plüsch bezogen war, der durch viele ranzige Flecke verunstaltet war. Zu beiden Enden des Sofas stand einer der muskulösen Kerle, die Paul immer zur Hand hatte, im Prinzip als Leibwächter, aber eigentlich, um ihm auf die Füße zu helfen, ihn aus dem Bett zu hieven, ihm seine Roben an- und auszuziehen und ihm all die anderen Hilfestellungen zu bieten, die zur Pflege dieses Riesenkindes notwendig waren.
Dazu war ihre Körperkraft notwendig ; aber sie erfüllten Pauls Hofstaat auch mit einer beängstigenden Atmosphäre; zumindest empfanden das einige Leute so. Im Blinden Pfeifer waren Prügeleien und Gewalt beinahe unbekannt; derlei Vergnügungen konnte man in Hunderten von anderen Räuberhöhlen finden. Im Blinden Pfeifer wurden Geschäfte abgewickelt, und Paul war ein reicher Mann. Ihm gehörten ein Teil von Les Halles, ein Schlachthof, andere Gasthäuser und viele weitere Dinge, von denen nur wenige etwas wussten. Er konnte einen Vertrag ebenso gut lesen wie jeder Rechtsanwalt, auf Lateinisch, Italienisch, Englisch oder Französisch. Alle großen Schurken der Ville, zu beiden Seiten des sogenannten Gesetzes, mussten früher oder später feststellen, dass sie Paul brauchten,und ihr Wort sorgte für Frieden im Blinden Pfeifer. Keiner wollte Paul so recht trauen, aber jeder musste ihm trauen. Seine Heimtücke war stets ungewöhnlich und nie nachzuweisen. Von denen, die er verraten hatte, hatte keiner überlebt, um sich zu rächen.
Der gescheitere der beiden Rohlinge hob die Hand, um Pauls Frage zu beantworten.
»Maurice möchte, dass du ihn für einen Mathematiker hältst«, meinte Paul. »Aber er hat die Rechnung schon einmal gehört. Das ist sehr unehrlich von dir, Maurice.«
Maurice senkte den Kopf, und hinter Grymonde ließ sich eine vornehme Stimme hören.
»Hundertzwanzigtausend Francs.«
Das Gasthaus war ein langer, schmaler Raum, in dem auf einer Seite der Tresen vor einer Reihe von Weinfässern verlief. Pauls Sofa stand hinten im Raum, und Grymonde saß auf einem der
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