Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Geburtszimmer ging.
Grymonde schaute zur Sonne, die immer noch heiß vom Himmel brannte, aber bereits gen Westen wanderte. Er hatte die Zeit aus den Augen verloren. Er eilte nach Cockaigne.
Tannhäuser würde seine Frau suchen; er würde sie nicht finden. Aber anderen würde das vielleicht gelingen, sobald sie erfahren hatten, dass sie noch lebte; und das würden sie erfahren, wussten es vielleicht schon.
Warum suchte das Châtelet den Mann? Um ihm etwas über seine Frau zu sagen, um ihm zu helfen? Um ihn zu warnen oder zu schützen? Vielleicht streckte sich dieselbe böse Hand, die Grymonde dafür bezahlt hatte, Carla zu töten, nun auch nach Tannhäuser aus. Wer wollte die beiden umbringen und warum? Noch nie in seinemLeben war Grymonde jemandem begegnet, der weniger dazu geeignet schien, mörderischen Hass zu entfachen, als Carla. Andererseits barg Mord die Lösung für eine Unzahl verschiedener Probleme. An einem Tag, da die königliche Familie den eigenen Palast mit dem Blut von Hochzeitsgästen, Verwandten und lebenslangen Freunden rot gestrichen hatte, war alles möglich.
»Das Kind«, murmelte Grymonde laut vor sich her.
War das Kind der Grund?
»Er wäre nicht der erste Mann, der seine Frau loswerden will.«
Wer konnte wissen, wie lange Tannhäuser schon in Paris war?
Grymonde wischte sich das Fett und den Schweiß aus den Augen.
Sein Kopf schmerzte.
Deswegen lohnte es sich nicht, Fragen zu stellen. Oder vertragsbrüchig zu werden.
Er blieb stehen, um zu pissen. Die Sergents würden nicht in die Höfe kommen; sie würden dafür einen zu hohen Preis zahlen müssen. Aber Grymonde fehlte es nicht an Konkurrenten, und die konnte man genauso leicht anheuern wie ihn, vielleicht sogar zu einem billigeren Lohn. Heute war die Zeit für einen Bandenkampf besser denn je; aber nicht für ihn.
Er ging weiter.
Er hätte Bigot nicht töten sollen.
In kaum zwei Tagen war die ganze Stadt vom fröhlichen Feiern in blutiges Chaos umgeschlagen.
Die Dinge konnten sich jetzt rasch entwickeln.
Er musste schlau sein.
Er beschleunigte seine Schritte.
Er musste Carla aus Paris herausbekommen.
Bei seiner Rückkehr hatte ihm Alice verboten, Tannhäusers Namen vor Carla zu erwähnen.
Die Geburt des kleinen Mädchens vertrieb all seine Sorgen, zumindest für eine Weile. Carla eroberte sein Herz mehr denn je. Er verließ sich darauf, dass sein Gesicht das nicht verriet. Er fragte sich, ob seine Mutter es wusste.
Alice bei der Arbeit zu sehen, sie einfach zu sehen, das verzauberte ihn wie immer. Sie wusste, was er war. Sie weigerte sich, aus seinenUntaten Gewinn zu ziehen, bis hin zu dem Brot, das sie aß. Sie hatte ihm ihre Lebensart beigebracht, aber Grymonde war nicht in der Lage gewesen, sich danach zu richten. Und es war nicht ihre Art, ihn zu verurteilen; sie hatte ihm einmal gesagt, diese Last müsse er selbst tragen.
Seit seiner Kindheit beobachtete er Alices Geschick mit Gebärenden und ihren Kindern – in der Freude, in der Trauer, manchmal im Schrecken. Doch nie zuvor hatte er eine Verbindung wie die zu Carla miterlebt. Er fragte sich, was zwischen den beiden vorgefallen war. Diese starke Bindung fachte seine Ängste um Carlas Leben erneut an.
Ein Pferdewagen war leicht aufzutreiben. Grymonde hatte genug Gold, trotz seiner übereilten Spende an den Priester. Das Tor von Saint-Denis war nur einen Steinwurf entfernt. Die Zöllner dort bestritten ihr halbes Einkommen aus Schmiergeldern. Er konnte mit Carla und dem Kind die Stadt verlassen, während die Rinder und Schafe hereinkamen. Dieser Plan erleichterte ihn.
Er erzählte Carla, dass er glaubte, Tannhäuser wäre in Paris.
Carla war von der Geburt erschöpft und von starken Gefühlen übermannt. Was immer sie angesichts dieser Nachricht empfand, ging darin unter, und sie hielt es mit der außergewöhnlichen Haltung in Schach, die sie von Anfang an gezeigt hatte. Einen Augenblick lang sagte sie gar nichts und schaute nur auf ihr schlafendes Kind. Dann hob sie die Augen zu Grymonde.
»Bitte bringe mir Feder, Tinte und Papier. Ich muss ihm schreiben.«
»Schreiben? Was denn? Außerdem haben wir so was nicht.«
»Wenn Mattias Euch findet, bringt er Euch um. Das möchte ich lieber nicht.«
Grymonde war in seiner Würde getroffen. Er hatte sich ein Bild von diesem Ehemann gemacht, sich eine Art galanten feinen Herrn vorgestellt, der eine Frau wie Carla für sich gewinnen konnte. Ein feiner Kerl, zweifellos auch ein tapferer Mann, aber doch kaum jemand,
Weitere Kostenlose Bücher