Die Blutnacht: Roman (German Edition)

offen. Sie befand sich in der Wand des rechten Seitengangs, kurz vor der Kanzel. Das Scharnier war links, und sie ging zum Korridor auf. Tannhäuser überprüfte die Armbrust. Der Bogen war aus Stahl, der Bolzenhalter aus einem Stück Hirschgeweih gefertigt. Der Kopf des Bolzens sah aus wie ein riesiger Hufnagel. Es war eine eher kleine Armbrust, bestens für die Bedürfnisse eines Mörders geeignet, aber auf vierzig Schritt würde der Bolzen auch Stahl durchdringen.
    Tannhäuser hörte, wie der Priester die beiden übrigen Mordgesellen verzweifelt immer wieder anflehte, ihn zu befreien. Das hatten sie nicht gemacht. La Fosses Plärren hatte die wenigen Laute übertönt, mit denen die ersten drei Schurken ihr Leben beendet hatten. Tannhäuser schaute vorsichtig mit dem linken Auge um den Türpfosten herum.
    Der vierte Bandit hockte halb geduckt etwa fünfzehn Fuß von der Tür entfernt im Korridor. Er hatte Tannhäuser den Rücken zugewandt. Gleich hinter ihm stand La Fosse auf den Zehenspitzen, das Gesicht zwischen den festgenagelten Armen erhoben, und flehte zu Gott. Sein Körper an der Tür blockierte eine gute Hälfte des Durchgangs. Wie Tannhäuser es beabsichtigt hatte, hatten die Gegebenheiten des Raums den vierten Mann in eine verkrampfte Position auf der linken Seite gezwungen, so dass er mühselige Schritte machen musste, um sich zu drehen und zu schießen. Seinen hektischen Kopfbewegungen nach zu schließen, versuchte er, zu sehen, was hinter dem Priester vor sich ging.
    »Munt! Heilige Scheiße, wo bist du?«
    Von seinem unsichtbaren Verbündeten war nur ein dumpfer Ruf zu vernehmen.
    Tannhäuser ging mit Riesenschritten den Korridor entlang, den Speerarm zurückgezogen. Erneut kam ihm das Geschrei des Priesters zugute. Beim vierten Schritt hörte ihn der Bandit, aber der Durchgang war so eng, dass er sich nicht mit angelegter Armbrust herumdrehen konnte. Er musste die Waffe nach oben richten, während er auf beiden Füßen herumfuhr, und sie dann wieder senken,um zu zielen. Er reagierte mit bewundernswerter Geschwindigkeit, aber ehe er diese Kreisbewegung auch nur halb vollendet hatte, rammte ihm Tannhäuser schon die scharfe Stahlklinge der Partisane in die Achselhöhle. Er richtete mit diesem Stoß so großen Schaden an Lungen und Herz an, dass ein gurgelndes Röcheln das Ende seines Gegners anzeigte. Tannhäuser schob ihn mit dem Stiefel von der Klinge und trat hinter die Deckung, die ihm La Fosse gab. Er berührte den Priester mit einer Schulter, und der heulte auf.
    Tannhäuser hielt den Bolzen zwischen den Zähnen und zischte ihm zu: »Bete lauter.«
    La Fosse kniff die Augen zusammen und tat sein Bestes.
    Tannhäuser trat an dem Priester vorüber und war wieder im Haus. Er blieb kurz vor der Tür zum Hauptzimmer stehen und lehnte die Partisane an den Rahmen. Er hob die Armbrust. Er rief, seine Stimme vom Bolzen zwischen den Zähnen und dem Latein des Priesters unkenntlich gemacht.
    »Munt! Wo bist du?«
    »Mach, dass du rauskommst! Er ist in der Kapelle! Schmidt ist tot!«
    Tannhäuser trat in den Türrahmen und zielte mit der Armbrust.
    Munt, der fünfte Bandit, stand draußen vor der Haustür im Regen.
    Er floh nach Süden.
    Tannhäuser rannte zur Tür und stützte sich am Rahmen ab. Munt hatte seine Waffe fallen lassen, um schneller laufen zu können, aber selbst so wäre er auch für einen weniger guten Schützen ein leichtes Ziel gewesen. Tannhäuser schoss ihm zwischen die Schultern und sah den Bolzen verschwinden und vorn wieder austreten, dass in einer Pfütze fünfzig Fuß entfernt auf der Straße das Wasser aufspritzte. Munt bäumte sich auf und taumelte auf schwachen Beinen zur Seite. Er fiel auf alle viere und schaute zur Kreuzung, als könnte von dort noch ein Wunder kommen. Seine Arme knickten ein, und er fiel mit dem Gesicht in den Schlamm und rührte sich nicht mehr.
    Tannhäuser legte die Armbrust auf ihren Steigbügel und nahm den zusätzlichen Bolzen aus dem Mund. Er trat aus der Tür und zögerte, obwohl außer Munts Leiche sonst nichts zu sehen war. Doch da, als wäre er aus dem Sonnenlicht hervorgezaubert worden,tauchte auch schon Grégoire auf und kam durch den Regen auf ihn zugelaufen.
    Grégoire sprang über den zusammengesackten Munt hinweg und klatschte in die Hände. Er lachte beim Laufen sein seltsames, zögerndes Lachen, das Tannhäuser gleich so gefallen hatte. Der kahle Hund sprang ihm fröhlich um die Füße, von einem schuppigen Mantel aus verkrustetem