Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Untersuchung nur sehr oberflächlich gewesen, das Verbrechen schnell vergessen worden. Stimmt’s?«
La Fosse nickte. »Höchstwahrscheinlich.«
Das Geheimnis begann sich aufzudröseln.
»Sie brauchten dieses Massaker gar nicht, um den Mord an Carla zu verbergen«, sagte Tannhäuser. »Er war schon verborgen, der Tod eines unglückseligen Gastes, der zufällig im Haus war. Und als katholischen Gast im Haus eines Protestanten würde man sie nicht einmal sonderlich bemitleiden.« Er dachte an Bernard Garnier auf dem Vorplatz der Kathedrale. »Manche würden sogar das Verbrechen begrüßen, es als eine weitere Warnung an die Hugenotten betrachten, aber auch an Katholiken, die mit ihnen Freundschaft geschlossen haben.«
La Fosse sackte zusammen, als wäre ihm gerade eine schreckliche Erkenntnis gekommen.
»Mehr als nur eine Warnung.«
»Erkläre«, sagte Tannhäuser.
»Begreift Ihr nicht? Wenn alles wie immer wäre – wenn man nicht auf Admiral Coligny geschossen hätte, wenn die Woche der Hochzeitsfeierlichkeiten wie geplant ihren glücklichen Höhepunkt beim Ball der Königin erreicht hätte – dann hätte man die Ermordung von Carla und Symonne als außergewöhnliche Verurteilung der religiösen Toleranz interpretiert. Als gewalttätigen Ausdruck militanten Hasses gegen die Protestanten allgemein, aber auch als Ausdruck ihrer Verachtung für die königliche Hochzeit, den Frieden von Saint-Germain, das Toleranzedikt, die Politik der Königin insgesamt …«
»Das Symbol töten.«
Endlich begriff Tannhäuser.
»Genau«, sagte La Fosse. »Die hugenottischen Edelmänner würden Gerechtigkeit fordern – und zwar mehr als nur ein paar Diebe, die man an den Galgen schickt. Sie hätten niemals geglaubt, dass hier nur kleine Diebe am Werk waren. Symonne war nicht einmal sonderlich reich. Admiral Coligny hätte ungeheuren Druck auf den König ausgeübt, dass man die Verschwörer finden und bestrafen müsste, aber hätte der König das gewagt? Nicht nur die Militanten, sondern ganz Paris war gegen diese Hochzeit. Rom war gegen diese Hochzeit. Der Papst hat seinen Dispens nie gegeben, den hat man gefälscht, um Kardinal de Bourbon dazu zu bewegen, der Eheschließung zuzustimmen. So wäre der König nach diesem Verbrechen gezwungen gewesen, sich zu entscheiden, ob er Coligny verstimmen wollte oder ob er die mächtigsten Vertreter der Katholiken erniedrigen wollte. Die Letzteren sind vielleicht nicht mit Charles einverstanden, aber sie sind mehr als willig, für ihn zu kämpfen.«
»Wieder ein Krieg.«
Das viel größere Verbrechen, das nun die Stadt verschlungen hatte, war die vollkommene Tarnung für das geringere, den Mord an Carla, gewesen. Das hatte Tannhäuser jedenfalls bisher geglaubt.
Tatsächlich hatte es diese Untat völlig zugedeckt.
Der Mord am Symbol – an den beiden Musikerinnen, die die Versöhnung zwischen Katholiken und Hugenotten verkörperten –war unter dem Mord an Tausenden untergegangen. Höchstwahrscheinlich würde das die Verschwörer nicht gerade enttäuschen. Zufällig war ihre Intrige mit einer viel größeren zusammengefallen, und nun hatten sie den Vernichtungskrieg, den sie wollten.
Die Aufführung beim Ball der Königin hätte am Freitagabend sein sollen. Bis dahin war Carla in Sicherheit gewesen. Es war sinnlos, das Symbol zu töten, ehe es eines wurde. Carla und Symonne waren in der folgenden Nacht ermordet worden. Am Vorabend des Bartholomäustages.
Das Verbrechen im Hôtel d’Aubray war nicht Stunden, sondern Monate vorher vorbereitet worden. Die Hochzeit und die Feiern hatten die Gelegenheit dazu geboten. Und von all den vielen Lustbarkeiten hatte sich nichts Besseres angeboten als der Galaabend, den sich die Königin selbst ausgedacht hatte, sie, die man mehr als jede andere als Verräterin der katholischen Sache betrachtete. Catherine hätte die Botschaft und ihre politische Bedeutung sofort verstanden.
Tannhäuser musste zugeben, dass es ein brillanter Plan war. Retz hatte ihm gesagt, dass Coligny erst letzte Woche mit Bürgerkrieg gedroht hatte. Der Mord an diesem Symbol hätte leicht den Ausschlag geben können. Es waren schon Kriege wegen sehr viel geringerer Anlässe ausgebrochen.
Carlas Ermordung war keine persönliche Angelegenheit gewesen, sondern eine politische. Sie und Symonne waren nur Bauern, die bei einem Angriff auf Catherine de Medici und ihre Toleranzpolitik geopfert wurden.
Niemand hatte mit Tannhäusers Ankunft gerechnet, nicht einmal Carla.
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