Die Blutnacht: Roman (German Edition)
spürte, wieder Bolzen an Sehnen und Knochen riss. Er spürte, welche Höllenqualen der Polizist litt. Aber diese Höllenqualen reichten noch nicht.
»Ich hatte nichts damit zu tun.«
Christians gewimmerte Beteuerung brachte Tannhäuser wieder zu Verstand.
Er wollte nicht, dass Le Tellier schon starb. Er ließ ihn wieder fallen.
»Bring mich zu Orlandu.«
Tannhäuser hatte die Absicht, keine Zeugen für seine Taten im Hôtel zu hinterlassen. Aber er wollte Stefano nicht töten. Christian schleppte sich mit seinem gebrochenen Becken die Treppe hinauf. Tannhäuser drängte sich an ihm vorüber, packte ihn und zog ihn ins nächste Stockwerk. Man hatte den Hausbedienten für den Rest des Tages freigegeben, und sie würden nur aus ihren Zimmern kommen, wenn man sie rief. Tannhäuser und Christian blieben bei einer Tür stehen. Tannhäuser klopfte.
»Stefano aus Sion, Mattias Tannhäuser.«
Der große Schweizer machte die Tür auf, ein Schwert in der Hand. Er warf einen Blick auf Tannhäusers blutverschmierte Gestalt, die goldene Ordenskette, die Armbrust. Er steckte das Schwert weg und salutierte.
Tannhäuser sprach Italienisch.
»Wie war der Tag?«
»Mein Herr, seit ich Euch zuletzt gesehen habe, war mein härtester Kampf der gegen den Schlaf.«
»Wie geht es Orlandu? Kann er reisen?«
»Wenn kein Gewaltmarsch ansteht. Es geht ihm schlecht – Schüttelfrost –, aber der Kopf ist klar. Ich habe ihn eine Viertelstunde im Zimmer auf und ab gehen lassen.«
»Hervorragend. Jetzt müssen wir zu meinem Leidwesen wieder Abschied voneinander nehmen«
»Wenn es gestattet ist, mein Herr, diese Ordenskette habe ich schon gesehen …«
»Ja, wenn sie noch um Le Telliers Hals hinge, wärst du vor dem Morgengrauen tot.«
»Deswegen wollte ich nicht einschlafen. Ich habe Übles gewittert, sobald wir hier angekommen waren, obwohl Orlandu zufrieden war. Wenn Ihr mich noch braucht, sagt es einfach.«
Tannhäuser war in Versuchung. Aber so robust wie Stefano war, konnte er doch nicht wissen, was hier verlangt wurde. Tannhäuser wollte nicht die ganze Schweizer Garde am Hals haben. Und das könnte sehr wohl der Fall sein, wenn er einen von ihnen so weit vom Pfad der Tugend abbrachte.
»Ich wünsche mir, dass alles, was du gesehen und getan hast, seit du mit Sergent Baro – der inzwischen tot ist – das Hôtel de Béthizy verlassen hast, dein tiefstes Geheimnis bleibt. Denk dir eine Geschichte aus, warum du so lange abwesend warst. Aber an einem Tag wie heute, welches Märchen könnte man da nicht erfinden? Machst du das, bei deinem Wort?«
»Bei meinem Wort, mein Herr, das Geheimnis wird gewahrt. Darf ich wissen, warum?«
»Wir wurden beide in eine Verschwörung hineingezogen, die wir nicht angezettelt haben. Diese Verschwörung beginnt und endet bei Marcel Le Tellier, und sein Ende von meiner Hand ist nah. Welche Untersuchung über diese Verschwörung auch angestellt wird, es wäre dein Verderben, wenn du eine Rolle dabei gespielt hättest.«
Stefano schaute zu Christian. Dann blickte er zu Tannhäuser.
Tannhäuser sagte: »Es wird keine Zeugen für eure Anwesenheit hier geben.«
»Ich verstehe, mein Herr. Und ich kann Geschichten erfinden.«
Tannhäuser nahm Christian den leichteren der beiden Geldsäcke ab und gab ihn Stefano.
»Ich würde auch dieses Geheimnis wahren. Gib das Geld in Sion aus.«
Angesichts des Gewichtes des Sacks zog der Schweizer die Augenbrauen hoch.
Tannhäuser schlug ihm auf den Rücken.
»Dann bis zu einem anderen Tag und einer anderen Schlacht.«
»Das hoffe ich, mein Herr. Solange wir auf der gleichen Seite kämpfen.«
»Wenn nicht, dann schlag fest zu, denn das werde ich auch tun.«
Stefano salutierte. Er machte sich auf den Weg die Treppe hinunter.
»Stefano, benutze die Hintertür, sonst schießt dir vielleicht ein Mädchen in die Brust. Und lass dich warnen, in der Vorhalle findest du …«
»Ich habe sie schon gefunden, mein Herr, während Ihr die Ordenskette geholt habt. Buona fortuna .«
Tannhäuser hörte Orlandus Stimme.
»Mattias?«
Tannhäuser nahm den Bolzen aus der Armbrust und lehnte sie an die Wand. Er stieß Christian vor sich her in den Raum. Orlandu saß auf einem Stuhl, seine braungebrannte Haut wirkte beinahe wächsern, aber er schien gesund genug, um aufzustehen. Seine Augen waren so dunkel, fast schwarz. Tannhäuser grinste; das hatte der Anblick des Jungen bei ihm immer bewirkt. Orlandu lächelte nicht.
Er sagte: »Du bist ganz
Weitere Kostenlose Bücher