Die Blutnacht: Roman (German Edition)
ein Opfer der Verschwörung wie sie.«
»Wo ist sie?«
»Sie wartet auf uns. Komm her.«
Orlandu stolperte zu ihm hin. Tannhäuser nahm den Kopf des Jungen an die Schulter.
»Als ich so alt war wie du, habe ich für den Sultan Schiiten umgebracht und es für heilige Arbeit gehalten. Folge also meinem Rat. Wenn du schreckliche Verbrechen begehen musst, begehe sie nur für dich allein, nicht für irgendjemand anderen, nicht für seinen Glauben, seine Krone, seine Gunst. Dann zumindest werden wir als Menschen verdammt und nicht als Huren.«
»Es tut mir leid.«
»Wir müssen los.«
Tannhäuser hielt ihn auf Armeslänge von sich und grinste. Orlandu konnte nicht lächeln.
»Wie kann ich dir helfen?«
»Trage den Bogen und den Köcher, halte dich bereit, mir Pfeile zu reichen.«
Tannhäuser zerrte Christian an Kragen und Gürtel aus dem Zimmer und warf ihn die Treppe hinunter. Von unten ertönte Stöhnen. Tannhäuser zerrte die Matratze aus dem Bett und warf sie ihm hinterher. Er holte die Armbrust und lud sie.
»Warum hat Le Tellier den Plan gegen Carla geschmiedet?«, fragte Orlandu.
»Er hat eine private Blutfehde gegen mich.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Tannhäuser. »Ich habe ihn nicht gefragt.«Der Lieutenant Criminel von Paris balancierte auf seinem unversehrten Knie hinter seinem polierten Eichenschreibtisch. Seine Augäpfel zitterten in seinem blutigen Gesicht. Die mit Blut und Speichel besudelte Halskrause hing ihm durchnässt aus dem Mund. Er schwankte und stieß dumpfe Schreie aus. Mit seinen über Kreuz gelegten Händen sah er aus, als sei er mit einem grotesken Gebet beschäftigt. Vielleicht war er das ja auch.
Orlandu erstickte einen Laut.
»Spar dir dein Mitleid«, sagte Tannhäuser, »und wenn es Ekel ist, schluck ihn herunter.«
Tannhäuser war wütend. Er stellte seine Taten nicht in Frage. Es beleidigte ihn, dass ein solcher scheinheiliger Bandit seinen Sohn verführt hatte. Er legte die Armbrust auf den Schreibtisch.
»Du, Polizist, schau mich an.«
Le Tellier versuchte es. Er schaffte es nicht. Er senkte den Blick.
»Dein ehemaliger Jünger möchte deine Beichte hören, aber da weder er noch ich die Macht haben, dir die Absolution zu erteilen, wirst du dich schon bald zum Heer der Verdammten gesellen.«
Der katholische Fanatiker war sich seines ewigen Schicksals bewusst.
»Du antwortest mit einem Nicken«, sagte Tannhäuser. »Nicke.«
Le Tellier nickte.
»Du hast dafür bezahlt, dass jemand Carla umbringen sollte, um mich zu quälen.«
Le Tellier nickte.
»Als du herausgefunden hast, dass ich in Paris war, hast du Banditen angeheuert, die mich dir ausliefern sollten.«
Le Tellier nickte.
»Sobald du Carla in deiner Gewalt hättest, wolltest du mich zwingen, zuzuschauen, wie sie stirbt«
Le Tellier begann zu schluchzen.
»Du wusstest, dass sie schwanger war«, sagte Tannhäuser. »Antworte!«
Le Tellier nickte.
»Du hast das alles aus Rache getan.«
Zum ersten Mal schaute Le Tellier ihn an. Er nickte.
»Und ehe du mich ermorden ließest«, sagte Tannhäuser, »wolltest du dir das Vergnügen leisten, mir zu erklären, warum ich eine so schreckliche Strafe verdient hatte.«
Le Tellier nickte. Tränen rollten ihm in den Bart.
»Wenn ich dir den Lappen aus dem Mund nehme, sagst du mir, womit ich mir solchen Hass verdient habe?«
Le Tellier brauchte nicht zu nicken. Sein verzweifelter Wunsch, dem Schuldigen sein Verbrechen vorzuwerfen, loderte heller auf als die Hoffnung. Er nickte dreimal.
»Gut«, antwortete Tannhäuser. »Denn ich will es nicht wissen.«
Le Tellier wollte ihm nicht glauben.
Orlandu schon. Er ging um den Tisch herum und streckte die Hand nach dem Knebel aus.
»Lass ihn, wo er ist«, sagte Tannhäuser.
»Ich will es wissen«, erwiderte Orlandu.
»Du hast in dieser Sache nichts zu sagen.«
Orlandus Schmerz war nur in den schwarzen Augen zu sehen.
»Viele haben guten Grund, den Tag meiner Geburt zu verfluchen«, sagte Tannhäuser. »Ich brauche keinen weiteren Grund, mich an diesen Tag zu erinnern.«
»Wird er dich nicht ewig verfolgen?«
»Wenn ich jemand wäre, den Dinge verfolgen, wäre ich schon längst verrückt geworden.«
Le Tellier brabbelte.
Tannhäuser schaute ihn an. »Was immer ich dir oder den Deinen angetan habe, ich verspüre nicht die geringste Reue. Deine Rache und deine Gründe bedeuten mir nichts. Deine Verzweiflung bedeutet mir nichts.«
Le Tellier konnte das nur mit Mühe begreifen. Seine Augen wurden
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