Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Ihn quälte der Verdacht, dass all das Töten schließlich mehr oder weniger gleich war, und dass diejenigen, die sich dem Tod stellten, ohne einen Wettbewerb daraus zu machen, die lieber ihre Seele als ihr Leben verteidigen wollten, die wirklich weisen Menschen waren. Es lag jedoch nicht in Tannhäusers Natur, nach einer solchen Einstellung zu leben.
»Wie könnt Ihr es wagen, Monsieur? Wisst Ihr nicht, wer ich bin? Das ist mein Haus.«
Le Tellier krächzte wie eine gerupfte Krähe.
Tannhäuser beugte sich zu Baro hinunter, packte ihn bei seinem Wams, schleifte ihn drei Schritte weit und schleuderte ihn dann auf dem Bauch quer über den Schreibtisch, wo er weiter zuckte.
»Ich weiß, wer du bist«, sagte Tannhäuser. »Und das Haus gehört mir.«
Er hob den Streitkolben und zerschmetterte Baros Schädel. Blut und Hirn spritzte Le Tellier ins Gesicht. Der würgte, wich zurück und hielt sich die Augen zu.
Petit Christian rappelte sich auf alle viere und schaute zur Tür. Tannhäuser legte den Streitkolben weg. Er hob Baros Leiche hoch und warf sie auf den Rücken der Kröte. Dann drehte er sich um und lehnte sich an den Schreibtisch.
Le Tellier furzte, als seine Gedärme in Aufruhr gerieten. Sein Kopf war entweder völlig leer oder hektisch mit nutzlosen Erwägungen beschäftigt. Er wagte es nicht, auf seinen Angreifer zu schauen. Tannhäuser hieb den Streitkolben auf den Schreibtisch. Le Tellier zuckte zusammen.
»Das ist die Ordenskette eines Ritters«, sagte Tannhäuser. »Sie gehört nicht an den Hals eines Feiglings. Gib sie her.«
»Ich trage den Ordre de Saint Michel mit Ehre.«
»Du hast drauf geschissen. Nimm sie runter.«
Le Tellier zog sich die Kette über den Kopf, als wäre ihr Gewicht beinahe zu viel für ihn.
Tannhäuser hatte keinen so schwachen Gegner erwartet. Aber wahrscheinlich war Le Tellier vor zwanzig Jahren das letzte Mal so nah mit brutaler Gewalt in Berührung gekommen. Mit frischemBlut hatte er vielleicht noch nie Bekanntschaft gemacht. Dessen Urkraft raubte ihm jeden Willen. Wie die meisten, die auf vergoldeten Thronen saßen und andere zum Töten und Sterben ausschickten, war er feige durch und durch. Tannhäuser nahm die Ordenskette und legte sie sich um. Die massiven goldenen Muscheln glitten über das Blut auf seiner Brust.
»Deine gefälschte Ehre ist weg«, sagte Tannhäuser, »genau wie alles andere, was du je gekauft oder anderen abgepresst hast. Du hast versagt, in jeder Beziehung. Du hast dich völlig ruiniert. All dies Unglück nur um meinetwillen und in meinem Namen.«
Zum ersten Mal schaute ihm Le Tellier in die Augen. Er sprach, als wollte er eine aus der Hölle erschienene Erscheinung beschwören, die schon lange sein innerstes Wesen vergiftete.
»Mattias Tannhäuser.«
»Bei diesem Kampf geht es um ein Unrecht, von dem du glaubst, ich hätte es dir angetan.«
»Wenn es um unbestrittene Tatsachen geht, kommt der Glaube nicht ins Spiel.«
»Also eine persönliche Angelegenheit, keine Frage der Politik oder des Gesetzes.«
»Keine Frage menschlicher Gesetze, nein«, sagte Le Tellier. »Aber eine Frage der natürlichen Gerechtigkeit, ja …«
»Und niemand, der über dir steht, weiß um dieses Unrecht?«
»Niemand außer Gott und dem Teufel.«
Mehr wollte Tannhäuser von Marcel Le Tellier nicht erfahren.
»Keiner von beiden hat je verloren, wenn er auf mich gesetzt hat.«
Er nahm den Streitkolben und ging um den Tisch herum zu dem Stuhl.
»Ich habe dafür gesorgt, dass Ihr um sie trauert«, sagte Le Tellier. »Ich habe Euch zum Weinen gebracht.«
Endlich hatte der Hass überhand über die Angst gewonnen.
Tannhäuser nickte.
»Das hast du. Ich habe einen Tag voller Schmerzen durchlitten, die ich nicht für alles Gold in Paris eintauschen würde. Ich habe neue Freunde gewonnen, für die ich sterben würde. Ich habe Dinge erfahren, für die ich gern mein Leben gegeben hätte. Ich bin in dietiefsten Tiefen des Verderbens gewandert und wurde dort vom Gesicht meiner neugeborenen Tochter begrüßt. Und Carla? Du hast mir die Gelegenheit gegeben, mich von neuem in sie zu verlieben.«
Le Tellier nahm all das auf. Der Hass schmolz und verwandelte sich in einen tiefen persönlichen Schmerz. Einen Augenblick lang schien er ein anderer Mann zu sein.
»Dafür und für alles andere«, sagte Tannhäuser, »stehe ich in deiner Schuld.«
Er hielt Le Tellier eine Hand fest vor den Mund und schmetterte den Streitkolben von oben auf dessen linke Schulter. Le Tellier
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