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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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weit genug von diesem schrecklichen Ort wegbrachte und dort auf der Straße aussetzte.«
    Tannhäuser nahm diese unwillkommene Nachricht auf.
    »Hol meinen Bogen und Köcher. Trage beides auf der linken Schulter.«
    Christian watschelte folgsam fort.
    Tannhäuser stellte sich vor, wie Garnier unter Carlas Verachtung zusammenzuckte, und musste lächeln. Es war eine intelligente Taktik gewesen. Aber ganz gleich, wie scharf ihr Verstand war, die Anstrengungen der Niederkunft hatten sie sicher erschöpft und geschwächt. Ihre Gefühle mochte er sich gar nicht vorstellen. Die Gefahr für sie war so außerordentlich gewesen, dass sie Amparo in die Obhut eines zerlumpten Straßenmädchens gegeben hatte. Das konnte nur heißen, dass sie erwartet hatte, bald zu sterben. Ohne ihr Kind zu sein, musste eine schreckliche Qual für sie sein.
    Petit Christian kehrte zurück und sah sein Gesicht. Er wich zwei Schritte zurück.
    »Keine Angst, mein kleiner Stückeschreiber. Gib mir keinen Grund dazu, dann bringe ich dich nicht um. Wohin hat Garnier sie mitgenommen?«
    »Sire, er hat ein schönes Haus am nördlichen Ufer der Cité, beim Pont au Change. Er hat ihr jeden Komfort versprochen, den seine Frau und seine Bediensteten ihr bieten können.«
    »Sicherheit? Wachen?«
    Ein besonders klagendes Stöhnen seines früheren Herrn lenkte Christian ab.
    Tannhäuser schlug ihn leicht, und Christian taumelte.
    »Über Sicherheit wurde nicht gesprochen, Sire. Ein Milizmann, zwei vielleicht, damit sie sich besser fühlt. Niemand würde es wagen, in Garniers Haus einzudringen. Niemand hat einen Grund dazu.«
    »Weiß Garnier, dass ich Carlas Mann bin?«
    »Es bestand kein Grund, ihm das zu sagen. Nur Dominic weiß es, und wir drei hier wissen es.«
    Tannhäuser schlug ihn wieder. Christian fiel hin und wand sich am Boden.
    »Schließe mich nicht in euer ›wir‹ ein!«
    »Verzeiht.«
    »Dominic war darüber nicht sehr glücklich, oder?«
    »Er hatte keinen Grund zum Protestieren, obwohl er es versucht hat. Ich habe ihn selbst daran gehindert.«
    »Wo ist Dominic? Wo sind seine Leute mit den Musketen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Tannhäuser glaubte ihm nicht, aber das konnte warten.
    »Ist Stefano noch bei Orlandu?«
    Christian blinzelte.
    »Stefano hat sich geweigert, von Orlandus Seite zu weichen. Man hat sie gut behandelt, Sire.«
    »Werden sie sonst noch bewacht?«
    »Nein, Sire.«
    »Sind noch Gewehre da drin? Bogen?«
    »Nein. Der Schweizer hat ein Schwert.«
    »Es muss Bargeld in diesem Zimmer sein. Hol es!«
    »Der Schlüssel ist am Gürtel Seiner Exzellenz, Sire.«
    Christian deutete auf Le Tellier. Er hatte seinen Herrn mit weniger Skrupeln im Stich gelassen als ein Betrunkener eine hässliche Hure. Er humpelte um den Tisch herum und durchsuchteden jämmerlichen Schurken, zuckte bei jedem Stöhnen zusammen und wandte das Gesicht voller Entsetzen ab. Dann schloss er eine Schublade auf und hob einen Geldkasten heraus.
    Tannhäuser ging zum Fenster. Das Gemetzel am Fluss dauerte noch immer an. Auf der Uhr am Turm der Conciergerie war es zwanzig Minuten vor zehn. Er konnte Carla zum Tor an der Porte Saint-Denis bringen, bis es um Mitternacht geöffnet wurde.
    »Der Tag war teuer, Sire. Über dreißig Pistolen, mehr als die Hälfte davon in Écu d’or .«
    Christian schaute in zwei offene Säcke.
    »Bring beide Säcke mit.«
    Tannhäuser machte das Fenster zu.
    Vor seinen Augen sah er Pascale.
    »Was hat Le Tellier bezüglich der Kinder bei Frogiers Schwester angeordnet?«
    »Frogier?«
    Christian wich zurück und duckte sich, während Tannhäuser zum Schreibtisch zurückging.
    »Du warst heute Abend mit Frogier zusammen.«
    Tannhäuser trat Le Tellier mit dem Stiefel. Der heulte in seine Halskrause.
    »Le Tellier hat drei Sergents ausgeschickt, um Anne bei Irène zu verhaften«, sagte Christian. »Falls Ihr zurückkehren würdet.«
    »Anne?«
    Er erinnerte sich. Frogier kannte Pascale nur unter dem Namen Anne.
    »Das Mädchen mit dem rabenschwarzen Haar. Le Tellier hat gefragt, welche Ihr am liebsten mögt.«
    Tannhäuser schaute nach unten. Le Telliers Augen waren angstweit aufgerissen.
    »Und die anderen?«
    »Er sagte, Anne würde reichen. Und die Anderen würden nur im Weg sein.«
    Tannhäuser erinnerte sich, wie die Mäuse über das verkleckerte Ei gelacht hatten. An Juste, der Feigentörtchen aß. An Flore. Seine rechte Hand schloss sich um Le Telliers Hals. Die Haut fühlte sich verschwitzt an. Er hob den Mann vom Boden und

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