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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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unter Estelles Kinn eingekuschelt war.
    Amparos Augen wanderten hin und her, und dann blieben sie auf ihrem Gesicht hängen. Amparo war völlig ruhig. Sie hatte recht. Carla ignorierte die furchtbare Enge in ihrer Brust. Sie konnten es zur Kathedrale zurück schaffen. Sie würden überleben. Und irgendwann in der Zukunft würde sie zusehen, wie Bernard Garnier und Dominic Le Tellier auf Knien um Mitleid winselten und starben. Das schwor sie sich. Sie berührte Amparos Lippen mit den Fingern.
    »Ich schwöre es bei deinem Leben.«
    Sie hatte sich nie zuvor einen so schrecklichen Schwur vorstellen können.
    Auch nicht, dass ihre Zunge solche Worte je sprechen würde.
    Aber sie hatte sie ausgesprochen.
    Sie spürte Hände auf der Schulter, aber hinter ihr war nur Wasser.
    Alte Hände, sanft, aber stark.
    Die Enge verschwand.
    Carla nickte. »Danke, Alice.«
    »Es ist ein Blinder an Bord. Kann ihm mal jemand sagen, was geschieht?«
    »Pascale«, sagte Carla, die Augen noch auf ihr Kind gerichtet. »Lebt Mattias noch?«
    »Er lebt und druckt mit roter Farbe.«
    Carla schaute über das Wasser.
    Der Kahn trieb mit der Breitseite auf die Sperre zu, mit dem Heck zum rechten Ufer und nah genug, um von beiden Seiten Angriffevon Männern zu ermöglichen, die vom Strand ins Wasser wateten. Mattias schoss Pfeile auf den Kai ab, die Sehnen in seinem Rücken spannten und entspannten sich in der gewalttätigen Schönheit seiner Kunst. Carla versetzte sich in seine Gedanken.
    Zuerst wird Mattias die Männer mit den Musketen ausschalten, während sie neu laden.
    Dann vertreibt er die Meute von der Sperre, denn sie fürchten den Tod und er nicht.
    In der Kampfpause wird er versuchen, die Sperre zu brechen.
    Dann kommt Garnier, und dieser feige Mistkerl wird nicht den Mut haben, allein zu kommen.
    Wenn die Sperre bis dahin nicht gebrochen ist, dann könnte sogar Mattias überwältigt werden, von drei Seiten.
    Pascale fragte: »Carla, sag mir, was ich machen soll. Sonst fange ich an zu rudern.«
    Das Mädchen war von Kopf bis Fuß kampfbereit. Sie hatte die Ruder schon über dem Wasser.
    Die anderen Kinder wandten sich zu Carla um. Sie waren alle kampfbereit.
    Carla schaute wieder auf Amparo hinunter.
    »Dein Vater wird gar nicht einverstanden sein.«
    Amparo gurrte.
    Carla schaute zu Pascale, und die fletschte die Zähne.
    »Pascale. Rudere uns zur Sperre.«



KAPITEL 41

D ER T EUFELSDAMM
    Man sagte, dass Fortuna blind war, aber Tannhäuser glaubte nicht daran. Wenn es sie gelüstete, bewegte sie ihre Spielfiguren mit viel zu übermütiger Ausgelassenheit. Er schätzte sie deswegen, wenn er auch bezweifelte, dass sie das kümmerte.
    Er steuerte den Kahn ein wenig nach Backbord. Nach fünfzig Schritt würde er den Kurs ändern, um die Sperre in einem Winkel von fünfundvierzig Grad zu rammen, genau an der Stelle, wo die beiden rechten Viertel ihres flachen Bogens sich trafen. Wenn die Barriere dabei brach, umso besser. Wenn nicht, dann würde das Heck nach Backbord ausbrechen und der Kahn längs der Sperre liegen. Einmal dort festgemacht, würde das Feuer im Bug ihn vom Kai am rechten Ufer aus unsichtbar machen, und von dieser Seite aus würde ihn auch die Redoute schützen, die es ihm ermöglichen würde, die Männer mit den Stangen anzugehen.
    Die Holzkohle hatte bereits vor der ersten Brücke lichterloh gebrannt, und das Rot am Rand der Grube ließ darauf schließen, dass die Temperatur weiter unten heiß genug war, um Metall zu schmelzen. Auch heiß genug, um andere Säcke auflodern zu lassen, die weit von den Flammen entfernt lagen. Die Helligkeit verwehrte ihm den Blick auf das mittlere Drittel der Schiffsbarriere, aber über den Rand der Bordwand steuerbord suchte er sich schon einmal das Schiff in der Sperre aus, das er entern wollte, und schoss dessen einzigem Bewacher in die Brust. Er schaute backbord über die Bordwand und bemerkte eine Ansammlung von vier Männern auf einemLeichter nahe beim linken Ufer. Er schickte einen Pfeil mitten in die Gruppe. Als er den dritten abgeschossen hatte, war niemand mehr übrig, auf den er hätte schießen können. Einige waren über die Pontons ans linke Ufer geflohen; die meisten waren tief geduckt und würden wohl da bleiben.
    Er hatte den Bogen des Sergents benutzt, den Pascale in Irènes Gasthaus gefunden hatte, und er ging höchstens fünf Sekunden von der Ruderpinne fort, um die Waffe auf einen Abschnitt der Redoute zu legen und zwei Pfeile in den Köcher zurückzuschieben. Er

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