Die Blutnacht: Roman (German Edition)
ihre Ruder ein. Ihre Arme waren dünn, aber sehnig. Ihre Ruderschläge waren kürzer und schwächer als die von Grymonde, aber sie waren auch schneller. Sie kamen dem Kahn näher.
Der Sand am rechten Ufer war schwarz vom Blut des Gemetzels, aber Carla sah dort keine bösen Geister. Dort lagen auch viele Boote, doch niemand hatte es gewagt, auf den Fluss zu fahren und es mit dem Feuerkahn aufzunehmen. Sie sah Nachzügler, die die Treppen zu den Kais hinunterstiegen, wo Gruppen von Milizsoldaten umherliefen. Dann ein Reiter. Schreie. Plötzliche Bewegung.
Alle wurden zur Schiffssperre kommandiert.
Die war nun kaum noch eine Achtelmeile entfernt. Je näher sie kamen, desto furchteinflößender wirkte sie. Ihre flachen Böden boten der Strömung weniger Widerstand, und man konnte besser auf ihnen das Gleichgewicht halten. In jedem Boot stand mindestens ein Mann mit einem Speer, in manchen waren sogar Gruppen von drei oder vier. Noch näher. Carla sah, dass die zu Gruppen aufgestellten Männer keine Speere hielten, sondern lange Stangen. Sie wollten den Feuerkahn aufhalten.
Mattias stakte weiter vorwärts. Der Feuerschein glänzte auf seinem Schweiß. Er zog die Stange aus dem Wasser und verstaute sie. Er wandte sich zu Carla und deutete auf die Lücke zwischen der Ile de la Cité und dem Inselchen vor ihrer Spitze, der sie sich näherten. Sie nickte. Mattias hob die Fingerspitzen an die Lippen und schleuderte dann den Arm in ihre Richtung. Carla war zu sehr gerührt, um die Kusshand zu erwidern. Sie hätte schwören können, dass sie ihn grinsen sah. Er wandte sich wieder der Ruderpinne zu und drehte den brennenden Bug auf die Mitte der Barriere zu.
Carla steuerte auf die Lücke zu. Das westliche Ende der Cité war von einer Verteidigungsmauer umgeben. Ein Wachturm überragtedie Gabelung des Flusses, und sie sah, wie sich oben ein Helm bewegte. Die winzige Insel war niedrig und flach und wurde zu oft überflutet, um bewohnt zu sein. Jenseits davon war eine zweite, etwas breitere Insel zu sehen, dazwischen ein kleiner Kanal.
»Pascale, lass das Boot laufen.«
Pascale hob die Ruder.
»Carla, sieh nur«, sagte Estelle.
Das Mädchen deutete auf den Feuerkahn, der nun geradeaus vor ihnen war, schräg auf die Schiffsbarriere zufuhr und ein wenig rechts von der Mitte auf die Sperre prallen würde. Mattias schoss einen Pfeil ab, und Carla beobachtete, wie einer der Männer mit den Stangen rückwärts von der linken Hälfte der Barriere flog. Die Männer zu beiden Seiten warfen sich aufs Deck. Carla wandte sich ab und steuerte das Fischerboot in die Lücke.
»Nein!«, sagte Estelle. »Schau wieder hin. Ins Wasser.«
Estelle legte die Hände als Trichter vor den Mund.
»Tannser!«
Carla beachtete sie nicht und steuerte das Boot von der Lücke in den kleinen Kanal. Sie zog das Ruder herum, und das Boot tanzte kurz vor der Mündung des Kanals, wo die beiden Arme der Seine sich wieder vereinten. Vor ihnen breitete sich die Schiffsbarriere aus, hundert Schritt entfernt und genauso breit. Sie verlief von der Tour de Nelle am linken Ufer zur Tour au Coin am rechten Ufer.
Der Vulkan glitt hinter der Insel in ihr Blickfeld.
Der Feuerkahn hatte plötzlich den Kurs geändert.
Carla sah Mattias.
Er war über das Heck gebeugt und langte zum Ruder hinunter. Es musste sich verklemmt haben. Der brennende Bug scherte nach Backbord aus. Wenn er das Ruder nicht hart herumriss, würde das Feuer die linke Seite der Barriere blockieren, genau das Gegenteil dessen, was er geplant hatte. Er musste dann die Barriere aufbrechen, während er ungeschützt den Angriffen der Streitmacht ausgesetzt war, die Garnier auf dem rechten Ufer versammelt hatte. Die Strömung trug ihn so schnell weiter, dass Carla schätzte, es würde ihm höchstens eine Minute bleiben, ehe er auf die Barriere aufprallte, und nur etwa die Hälfte dieser Zeit, um den Kurs zu korrigieren.
Pulverdampf und Gewehrfeuer explodierten auf dem Kai.
Carla schloss die Augen.
Sie öffnete sie wieder.
Holzsplitter, die die Salve vom Heck des Kahns gebrochen hatte, schwammen im Kielwasser. Sie konnte Mattias nicht sehen. Der Kahn schien unbemannt und außer Kontrolle.
Juste hatte sich auf die Knie hochgezogen. Grégoire packte seinen unverletzten Arm mit beiden Händen und zerrte sich hoch, um seine Ellbogen steuerbords über die Bordwand zu haken.
Estelle nahm Carla bei der Hand.
Die Kinder schauten schweigend zu.
Carla konnte nicht hinsehen. Sie blickte zu Amparo, die noch
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