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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Gesicht.
    Eine Gewehrsalve erschallte. Tannhäuser schaute angestrengt zum Fenster hinaus. Auf den Straßen waren Kämpfe ausgebrochen. Männer kamen aus den Häusern getaumelt, manche erst halb angezogen. Das Mondlicht blitzte auf ihren Schwertern. Die Hugenotten erhoben sich, um ihren Anführer zu verteidigen. Mündungsfeuer leuchtete in der Dunkelheit auf.
    »Auch die Glocken anderer Kirchen läuten«, merkte Tannhäuser an. »Warum?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wird die Bürgermiliz zu den Waffen gerufen?«
    »Die Miliz hat den Befehl, in der ganzen Stadt für Ruhe und Ordnung zu sorgen.«
    »Sonst nichts?«
    »Die Miliz soll in Bereitschaft stehen, um Anarchie und Chaos zu verhindern, mehr nicht. Die Morde liegen in den Händen der Guise und der Schweizer Garden. Man hat Seiner Majestät versichert,die Angelegenheit werde sauber abgeschlossen sein, ehe die Sonne aufgeht.«
    Tannhäuser ging zurück zum Korridor. Er schaute sich um und fand ihn menschenleer.
    Nun erschallte im Palast selbst Gewehrfeuer.
    Arnauld und Grégoire gesellten sich zu ihm. Sie gingen durch stinkenden Pulverdampf eine breite Treppe hinunter. Angst- und Schmerzensschreie hallten unten durch die Räume. Sie waren bereits halb unten, als ein Mann die Treppe hinaufzusteigen begann. Er hatte nackte Füße und trug ein langes Nachthemd, das zerschlitzt und blutgetränkt war. Als er sie sah, blieb er stehen. Zwei Schweizer Garden tauchten aus dem Dunkel auf und verfolgten ihn.
    »Oh, ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen, werte Herren«, sagte der Flüchtige. »Gewährt mir Unterschlupf, ich flehe Euch an.«
    Tannhäuser stützte sich mit einer Hand auf dem Geländer ab und trat dem Flüchtigen vor die Brust. Der Verwundete warf die Arme in die Höhe und rollte die Treppe hinunter. Er landete auf dem Rücken vor den Füßen der Schweizer Garden, und ihre Hellebarden durchbohrten ihn immer wieder, bis seine Schreie längst verklungen waren.
    Tannhäuser blieb drei Stufen über ihnen stehen. Sie sahen den Körper, den er über der Schulter trug.
    »Die oberen Geschosse sind sauber«, sagte Tannhäuser. Er deutete mit dem Kopf auf den durchbohrten Leichnam. »Schleift diesen Verräter auf den Hof. Und lasst keinen mehr entkommen.«
    Die Gardesoldaten packten den Toten bei den Füßen und schleiften ihn fort.
    Arnauld keuchte angewidert. »Der Mann hat um Gnade gefleht.«
    Tannhäuser ging ungerührt weiter die Treppe hinunter.
    »Seid froh, dass Ihr nicht auch aufgespießt wurdet.«
    »Das würden sie nicht wagen«, erwiderte Arnauld.
    »Die haben nach Grog gestunken, und für Leute wie sie ist die Gelegenheit, einen Edelmann zum Kreischen zu bringen, ein wahres Vergnügen.«
    Arnauld deutete auf das Malteserkreuz auf Tannhäusers Wams.
    »Euch wird keiner für einen Hugenotten halten.«
    »Manche halten mich für etwas viel Schlimmeres.«
    Durch die Fensterschlitze konnte man einen gelben Schein aufblitzen sehen. Wieder explodierte eine Gewehrsalve. Tannhäuser nahm Orlandu fester auf die Schulter und folgte der Blutspur, die die Wachen hinterlassen hatten. Sie führte durch einen Saal, wo Tannhäuser fünf weitere Leichen zählte, die auf dem Marmorboden ausgestreckt lagen. Eine Frau und zwei, die so klein waren wie Kinder. Er blieb am Tor zum Innenhof stehen.
    Er schaute auf das vom Fackelschein erleuchtete Gemetzel.
    Anscheinend waren die meisten hugenottischen Adeligen im Westflügel untergebracht gewesen. Hier und da erhellte die gelbe Explosion einer Hakenbüchse kurz ein Fenster. Aus dem Haupteingang des Westflügels trieben Palastwachen eine traurige Prozession hugenottischer Adeliger auf die Mitte des Hofs zu. Und nicht nur Adelige, sondern auch ihre Pagen, Pferdeknechte und Diener, und eine Handvoll Frauen und Kinder. Manche waren nur spärlich bekleidet, manche bluteten bereits. Keiner von ihnen war bewaffnet. Einige der Tapfersten versuchten, den Palastwachen hinter ihren Hellebarden an die Gurgel zu gehen. Sie wurden abgestochen, und ihre Glaubensbrüder stolperten über die Leichname auf ihren eigenen Untergang zu.
    Armbrustschützen und Soldaten mit Hakenbüchsen hatten am südlichen Ende des Platzes Aufstellung genommen. Sie feuerten nach Belieben auf die versammelte Menge der Hugenotten, die man vor sie hingetrieben hatte. Der östliche Bereich des Innenhofes starrte vor Waffenstahl. Wer so wahnsinnig war, einen Fluchtversuch zu unternehmen, wurde von den Wachen niedergehackt. Letzte Worte wurden gemurmelt, und manche

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