Die Blutnacht: Roman (German Edition)
umbringen.
Arnauld kam herbei. »Die Alarmglocke läutet. Wir müssen gehen.«
»Holt die Garde.«
Tannhäuser schaute zu Orlandu hinunter. Die Fäulnis musste abgeleitet, das faulige Fleisch herausgeschnitten werden. Vielleicht musste gar der Arm amputiert werden.
Arnauld eilte mit dem Wachsoldaten heran.
»Nenn mir deinen Namen.«
Der Wachsoldat schlurfte hin und her. »Jean, Sire.«
»Sag mir, Jean, wann hat Hauptmann Le Tellier diesen Gefangenen gebracht?«
»Gestern Abend, Sire.« Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Damit meine ich Freitagabend, nicht Samstag.«
Vor dreißig Stunden. Und es war Le Tellier gewesen.
»Und der Gefangene war bereits verletzt?«
»Wie Ihr ihn seht, Sire. Das heißt, seine Wunde war verbunden, wenn es ihm auch jetzt viel schlechter geht als gestern. Das heißt, am frühen Samstagmorgen.«
»Hast du Hilfe gerufen?«
»O ja, Sire. Ein Wundarzt war da und hat diesen Trank hiergelassen.«
Jean deutete unter das Bett. Dort lag eine kleine Flasche, deren Glasstopfen herausgezogen war. Sie war leer, der Trank war längst verdunstet. Tannhäuser hob den Stopfen auf und leckte daran. Opiumtinktur. Er warf Jean das Fläschchen zu. Es fiel hin und zersplitterte.
»Er braucht einen Chirurgen, keinen Trank.«
Jean zuckte bei dieser ungerechten Bemerkung zusammen. Tannhäuser lehnte sich zu ihm hin.
»Wenn er stirbt, hast du dich gegenüber Anjou zu verantworten, der ihn außerordentlich schätzt.«
Dieser Name stellte alle Autorität, die Le Tellier vielleicht hatte, in den Schatten.
»Was soll ich tun, Sire?«
»Kannst du zwei Männer entbehren, um ihn herauszutragen?«
»Alle anderen wurden zu den Waffen gerufen. Ich halte allein Nachtwache.«
»Dann hilf mir, ihn über die Schulter zu legen.«
Die Glocke läutete immer noch.
Als sie durch die schlecht beleuchteten Flure des Ostflügels schritten, war Tannhäuser dankbar für das Opium. Ohne Betäubung hätte Orlandu diesen Transport unerträglich gefunden; so rührte er sich kaum.
»Sagt mir, wo ich Ambroise Paré finden kann.«
»Den Chirurgen des Königs?«, fragte Arnauld zurück.
»Er hat Coligny behandelt. Er muss in der Nähe sein.«
»Auf Verlangen des Königs wohnt Paré bei Coligny im Hôtel de Béthizy.«
»Wie weit ist das?«
»Vom Tor etwa zehn Minuten zu Fuß. Aber es ist unmöglich …«
»Mein Sohn stirbt.«
»Auf den Straßen werden wir nicht durchkommen. Das Töten wird jeden Augenblick beginnen.«
Tannhäuser merkte, wie sich ihm die Eingeweide verkrampften. Arnauld blieb stehen und öffnete eine Tür.
»Coligny soll ermordet werden – und mit ihm alle seine Glaubensgenossen. Seht nur!«
Arnauld führte sie in einen Raum, der Fenster in der östlichen Fassade des Gebäudes hatte. Auf der anderen Seite eines Platzes stand hinter den Hôtels die Kirche, deren Glocke läutete. Nördlich der Kirche wand sich auf einer Straße, die ungefähr parallel zum Fluss verlief, eine Kolonne von Soldaten mit Fackeln. Sie wurden von etwa vierzig Reitern angeführt. Hinter ihnen folgten Trupps mit Hakenbüchsen. Die Nachhut bildeten die verschränkten Klingen der Hellebardiere.
Tannhäuser schätzte die Zahl der Männer auf etwa zweihundert.
»Wer befehligt sie?«
»Guise.«
»Erzählt mir alles.«
»Nach vielen Stunden hat man Seine Majestät dazu überredet, die Hinrichtung der Hugenottenführer anzuordnen. Das war dasSchreien, das ich von draußen gehört habe: In Gottes Namen, dann tötet sie alle! Tötet sie alle, dass kein einziger mehr zurückkehren und mir Vorwürfe machen kann !«
»Und die Adeligen hier im Louvre?«
»Denen schneidet man im Bett die Gurgel durch, während wir reden.«
»Ambroise Paré ist auch ein Hugenotte«, sagte Tannhäuser.
»Parés Genie wird auf besonderen Befehl des Königs verschont.«
»Er ist also nicht so sehr von Sinnen, dass er sich seines besten Chirurgen berauben würde.«
»Es war Catherines Vorschlag. Navarre und Condé sollen auch verschont bleiben, denn sie sind Prinzen von königlichem Blut. Aber sonst niemand. Ich habe Anjou angefleht, meinen Freund Brichanteau am Leben zu lassen. Anjou meinte daraufhin, jeder hätte einen Freund, den er gern verschonen würde. Selbst La Rochefoucauld, der mit dem König seit Kindesbeinen auf vertrautestem Fuß steht, muss zusammen mit allen anderen sterben. Anjou sagte: Ein König, der zum Wohl seines Volkes nicht seine liebsten Freunde umbringen kann, ist überhaupt kein König .«
Tannhäuser verzog das
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