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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Schlüsseln ihn aufgeweckt hatte. Die Tür ging auf, und Tannhäuser erblickte die Nachtwache, die er noch nicht kannte. Hinter dem Soldaten standen Grégoire und Arnauld de Torcy. Seit dem Nachmittag hatte sich Arnauld verändert. Seine Jugend schien ihm abhandengekommen zu sein.
    »Der Wahnsinn hat begonnen.«
    »Welcher Wahnsinn?«
    »Mit ein wenig Glück könnt Ihr ihn nutzen. Schnell!«
    Tannhäuser schnitt sich ein Stück Hammelfleisch ab. Kauend kehrte er ins Schlafzimmer zurück. Er zog sich die Stiefel und das schwarze Leinenhemd an. Das weiße Kreuz an seiner Brust war mit Blut bespritzt. Er schnallte sich den Gürtel um und steckte das Schwert und den Dolch wieder zurück. Als er sich erneut der Tür zuwandte, bemerkte er zum ersten Mal ein zweites Bett, vielmehr eine niedrige Pritsche im Zimmer. Es befand sich in einem Alkoven an der anderen Zimmerwand. Unter einem klammen Laken lag da jemand mit dem Gesicht zur Wand, und in der Dunkelheit sah es aus, als zitterte er, als schüttelte ihn ein Fieber. Tannhäuser hoffte, dass es nicht ansteckend war. Er kehrte in den Salon zurück. Dort stürzte er einen großen Becher Wein hinunter und schnitt sich noch eine Scheibe Fleisch ab. Dann gesellte er sich zu seinen Rettern auf dem Korridor.
    »Das Kleid für das Kind«, sagte Grégoire plötzlich. »Ich habe es da drinnen liegen lassen.«
    Tannhäuser schluckte das Hammelfleisch herunter. »Dann geh es holen.«
    Grégoire eilte zurück ins Zimmer.
    »Wie spät ist es?«
    »Beinahe vier«, sagte Arnauld. »Die Schreie des Königs waren schrecklich anzuhören.«
    »Wieso? Hat er beim Tennis verloren?«
    Darüber konnte Arnauld nicht lachen.
    »Diese Nacht ist finsterer, als Ihr Euch vorstellen könnt. Man hat Euren Knappen erwischt, als er versuchte, von der Baustelle des neuen Südflügels aus in ein Fenster im zweiten Stockwerk des Pavillon du Roi einzusteigen.«
    »Er ist ein einfallsreicher Bursche.«
    »Er hat Glück gehabt, dass ihn niemand getötet hat, ehe man mich rief.«
    »Ihr habt Euch meine ewige Freundschaft verdient, und das ist ein Schatz, dessen sich nur wenige rühmen können. Warum hat man mich verhaftet?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    Arnauld schaute ins Zimmer und hielt nach Grégoire Ausschau.
    Tannhäuser ging wieder hinein. Das Taufkleid hatte nur für ihn einen Wert, doch Gefühle jeder Art sollte er nun am besten unterdrücken. Er sah, wie Grégoire mit dem Wasserkrug in den Händen ins Schlafzimmer schritt, das zerknüllte Stoffpaket unter dem Arm.
    »Um Himmels willen, Grégoire, was machst du?«
    »Der andere Gefangene hat im Schlaf nach Wasser gerufen.«
    »Zur Hölle mit dem anderen Gefangenen!«
    Ein durstiges Stöhnen war aus dem Schlafzimmer zu hören.
    Tannhäuser griff einen Kerzenleuchter, riss Grégoire den Krug aus der Hand und stürzte in das Zimmer. Er hoffte, dass er sich irrte. Er durchquerte den Raum und stellte den Leuchter bei der Pritsche ab. Dann rollte er den Gefangenen auf den Rücken.
    »Orlandu.«
    Irgendwo jenseits der fensterlosen Mauern begann eine Glocke zu läuten.
    Orlandus Wangen waren eingesunken, seine Stirn war schweißnass. Tannhäuser schob mit dem Daumen die Lider auf. Die Pupillen waren geschrumpft. Orlandu zeigte keinerlei Lebenszeichen. Tannhäuser schob ihm einen Arm unter die Schulter. Durch das völlig durchnässte Hemd hindurch konnte er fühlen, dass der Körper des jungen Mannes förmlich in Flammen stand. Opium und Fieber. Er hob Orlandu auf, und der stöhnte. Tannhäuser setzte ihm den Krug an die Lippen und schüttete. Orlandu schluckte.
    Tannhäuser stellte den Krug ab und ließ Orlandu wieder auf die Pritsche sinken. Er zog das nasse Laken fort, Fäulnisgeruch schlug ihm entgegen. Orlandu war vollständig bekleidet. Man hatte ihm den linken Ärmel seines Hemdes abgetrennt, und der Arm war vom Ellbogen bis zur Achselhöhle bandagiert. Tannhäuser fuhr mit den Fingerspitzen über den Verband. Er hatte braune und schmutzig gelbe Flecken und fühlte sich unangenehm feucht an. Er war zu fest angelegt; seit dem Verbinden war der Arm stark angeschwollen. Zu beiden Seiten des Verbands war die freiliegende Haut feuerrot und von der sich ausbreitenden Fäulnis straff gespannt. Tannhäuser tastete Orlandus Hals ab und entdeckte Knoten unterhalb des Kinns. Eine lebensgefährliche Verletzung, vielleicht sogar Wundbrand. Wenn die giftigen Körperflüssigkeiten erst ins Blut geratenwaren, konnten sie den stärksten Mann innerhalb von Stunden

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