Die Blutnacht: Roman (German Edition)
sterblichen Überreste des Gaspard de Coligny zu pissen.
Coligny war gekommen, um einen Krieg anzuzetteln, und er war wie ein Narr gestorben. Doch er war auch ein berühmter Soldat gewesen.
Tannhäuser ging mit Riesenschritten hinüber, nahm eine Halbpike von der Wand und stieß dem Pinkelnden das mit Eisen beschlagene Griffende auf den Schädel. Der Mann fiel seinen Kumpanen zu Füßen, denen das Lachen im Hals stecken blieb. Er lag bewusstlos da. Tannhäuser schaute zu den anderen. Die wandten die Blicke ab. Er stellte die Pike zurück.
Dann beugte er sich zu den beiden Jungen und packte sie bei den mageren Schultern. Er rang sich ein Lächeln ab.
»Ihr beiden Burschen habt euch als meine tapferen, verlässlichen Kameraden erwiesen.«
Grégoire stand der Mund offen. Juste senkte den Blick.
»Aber obwohl wir ein Ziel erreicht haben, warten noch weitere. Juste, Monsieur Paré verspürt vielleicht nicht das Bedürfnis, uns zu helfen. Also musst du, sein Glaubensbruder, mich darin unterstützen, ihn dazu zu bringen. Grégoire, hier sind Ställe in der Nähe, deren Kunden nie wiederkehren und ihre Rösser abholen werden. Ich bin es müde, durch den Unrat zu waten. Geh und bring mir das beste Pferd.«
KAPITEL 8
B RENNENDE H UNDE
Als Symonne d’Aubray die Nachricht erhielt, dass ihr Haus wahrscheinlich angegriffen würde, setzte sie sich im Nachthemd auf ihr Bett und starrte in die Finsternis, als hätte sie den Verstand verloren. Sie war nach der Geburt ihrer Kinder mollig geworden, aber das passte gut zu ihren süßen, rosigen Gesichtszügen. Als Carla vorschlug, sie sollte sich anziehen und dann die Kinder wecken, schien Symonne kaum ein Wort zu hören. Sie war jünger als Carla, neunundzwanzig, eine intelligente und unternehmungslustige Frau, doch die Angst konnte selbst den vernünftigsten Menschen völlig außer Gefecht setzen. Vielleicht gingen ihr Erinnerungen an ihren Mann Roger durch den Kopf, der vor kaum einem Jahr während der Gastines-Aufstände von einer wilden Meute ermordet worden war. Carla drängte sie nicht. Sie legte Symonnes Kleider auf dem Bett aus.
»Ich wecke die Kinder«, sagte sie. »Dann helfe ich Euch, das Haar hochzustecken.«
Als Carla die Tür erreicht hatte, sagte Symonne: »Wenn wir nicht bereit sind, unter dem Kreuz zu leiden, verraten wir unseren Glauben an das Heilsversprechen. Diese Qualen schickt uns Gott, um unseren Glauben zu prüfen.«
Carla vermutete, dass in diesen tapferen Worten ein Echo von Symonnes Ehemann mitschwang. In Symonnes Stimme jedoch hörte sie nur Verzweiflung und Niederlage. Eine theologische Debatte erschien jetzt sinnlos. Carla ging ohne ein Wort.
Ihr Herz klopfte heftig, und ihr Magen war in Aufruhr. Sie dachte an Mattias und an seine Stärke und wünschte, er wäre hier. Sie schleppte sich mühsam die Treppe hinauf, einen Kerzenleuchter in der Hand, unter dem Gewicht des Kindes gebeugt. Sie weckte Denise und deren Mann Didier, die im Dachgeschoss schliefen. Dann holte sie die Kinder aus den Betten. Sie saßen blinzelnd da. Antoinette, mit sechs Jahren die Jüngste, bat um Wasser.
»Es ist noch dunkel«, sagte Martin, mit seinen zwölf Jahren der Älteste.
Carla rang sich ein Lächeln ab. »Martin, du bist jetzt der Mann im Haus. Du musst dafür sorgen, dass ihr euch alle so schnell wie möglich anzieht.«
»Warum?«, fragte Charité.
»Macht, was Martin sagt, und kommt dann ins Wohnzimmer hinunter«, sagte Carla. »Eure Mutter und ich erklären euch dann alles.«
»Sollen wir uns waschen?«, fragte Martin.
»Nein«, sagte Carla. »Zieht euch nur an. Schnell! Und tragt feste Schuhe.«
Carla ging in ihr Zimmer zurück und schloss die Tür. Sie lehnte sich gegen das Holz und atmete tief durch. Die Verzweiflung, die sie bei Symonne bemerkt hatte, schlich sich nun auch in ihr Herz. Verzweiflung war noch ansteckender als Angst. Carla legte die Hände auf den Bauch und spürte ihr Kind.
Ihr Körper hielt das Kleine umfangen; ihr Fruchtwasser umspülte es.
Mattias hatte angedeutet, aber auch betont, dass es lediglich eine auf alchemistischen Möglichkeiten beruhende Spekulation und keine Gewissheit wäre, dass alles, was durch ihren Körper ging, auch durch ihr Kind ginge und sich irgendwie auch in diesem Kind ansiedelte, das in ihr wuchs. Also hatte sie sich während der Schwangerschaft alle Mühe gegeben, mit dem Kind nur die schönsten und höchsten Gefühle zu teilen. Ihre Liebe zu Mattias, ihre Freude an Pferden und der Natur, ihr
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