Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Kindern eine vertraute Beschäftigung und disziplinierte Routine bieten.
»Setzt euch alle hin und stimmt die Instrumente.«
»Aber es ist noch dunkel«, jammerte Lucien. »Und ich habe Hunger.«
»Martin, du hast jetzt das Sagen. Wenn ihr nicht fertig seid, wenn ich wiederkomme, gibt es Ärger.«
Das andere Zimmer auf diesem Stockwerk war das Elternschlafzimmer. Carla schaute bei Symonne herein. Sie hatte sich nicht bewegt. Die Kleider lagen noch neben ihr auf dem Bett. Carla ließ sie in Ruhe und sah, dass Denise und Didier die Treppe heruntergekommen waren. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass die beiden in dem drohenden Kampf mehr als ein Hindernis sein würden. Sie wünschte, sie hätte sie schlafen lassen. Eine Stimmgabel summte. Martin gab halbherzig Anweisungen. Saiten klangen.
»Denise, mach den Kindern Frühstück«, sagte Carla. »Didier, wir wollen nachsehen, ob wir Altan Savas helfen können. Madame geht es nicht gut. Macht genau das, was ich sage.«
Sie folgten ihr die Treppe hinunter in den Flur, verwirrt und noch ängstlicher, seit sie Altans Namen gehört hatten. Carla erklärte nichts. Sie wusste nicht, was sie hätte erklären sollen. Vom hinteren Flur drang Lärm herein, Klappern, Schläge und Stöhnen, aber es waren keine Kampfgeräusche. Altan Savas errichtete gerade verschiedene Keile und Stützen aus Brettern, die er anscheinend aus dem Fußboden gerissen hatte und in den so entstandenen Löchern verkeilte, um das Schloss und die Scharniere der Tür abzustützen und zu sichern. Altan war nicht sonderlich zufrieden, Carla jedoch war beeindruckt. Altan schaute verächtlich zu Didier. Er forderte Carla und ihn mit einer Handbewegung auf, wieder in den Eingangsflur zurückzugehen, wo die Haustür und der Fuß der Treppe lagen. Er deutete auf die Kerze und wedelte mit den Händen.
»Kerzen, hier. Viele, viele. Licht.«
»Didier«, sagte Carla. »Sag Denise, sie soll doch kein Frühstück machen. Bringt ihr beide so viele Lampen und Kerzen hierher in den Flur, wie ihr finden könnt, und zündet sie an. Schnell.«
Altan deutete mit dem Finger in Richtung Tür. »Die bösen Männer kommen. Hier. Ja.«
»Ja, ich weiß, wir können sie nicht daran hindern, hereinzukommen«, antwortete Carla. Sie hatte es nicht vorgehabt, aber sie fragte ihn doch: »Sag mir, können wir gehen? Können wir fliehen, nur du und ich?«
Altan nickte. »Ja. Du willst?«
Carla antwortete nicht. Sie hörte, wie oben Saiten gezupft wurden und schläfrige Stimmen murmelten.
Sie schüttelte den Kopf.
Altan deutete auf die Hintertür. »Sie wollen kommen da herein. Um nicht gesehen zu werden.« Er zog den Riegel an der vorderen Tür zurück, so dass nur noch das Schloss die Tür sicherte. »Aber wir machen, dass sie hier kommen.« Er deutete wieder mit dem Finger um sich, nickte dann mit dem Kopf die Treppe hinauf und machte eine Bewegung, als zöge er einen Bogen auf und schösse einen Pfeil nach unten. »Wenn viele tot, sie gehen.«
Carla verstand seinen Plan. Sie wollten die Eindringlinge dazu ermutigen, durch die Vordertür von der Rue du Temple hereinzukommen, wo zumindest die Möglichkeit bestand, dass andere den Überfall sehen und Hilfe holen würden. Dann würden sie den Eingangsflur vorn als Schlachtfeld nutzen, die Treppe vom ersten Stock von einer Stellung vor dem Wohnzimmer und dem Elternschlafzimmer aus verteidigen. Wenn genügend Angreifer getötet waren, wenn genug Blut vergossen war – und sie war sich sicher, dass Altan den Preis in die Höhe treiben würde –, dann würden die anderen aufgeben.
Sie spürte Hoffnung in sich aufkeimen.
»Ja, ja. Gut. Mattias wäre zufrieden.«
Didier brachte zwei Armleuchter, und Denise machte sich daran, die Lampen, die bereits im Flur standen, anzuzünden. Von oben hörte man, wie Bögen widerwillig auf Saiten herumsägten.
»Soll ich zu ihnen gehen?« Sie deutete nach oben.
Altan zuckte die Achseln und nickte. »Eine Kerze, mehr nicht.«
Carla setzte sich hin und lehnte die Gambe gegen ihren Bauch. In dieser Position musste sie sich sehr strecken und verrenken, um dieTöne zu greifen und den Bogen zu führen, aber sie hatte sich daran gewöhnt. Sie wusste, dass beim Spielen die Schwingungen des Instrumentes bis in ihren Schoß gelangten und das ganze Universum ihres Kindes mit Musik erfüllten. Sie spielte dem Kind nun schon sein ganzes Leben lang Musik vor und wusste, dass es das liebte.
Sie hatte auch für ihr bald nach der Geburt gestorbenes Kind Bors
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