Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Leichen in gerinnenden Blutlachen. Rechts und links gingen kleine Gassen ab, dann ein Torbogen, wieder eine Straße nach rechts. Er folgte der Biegung der Straße, wobei sich immer mehr Gassen und Hoftore zur Rechten und zur Linken auftaten, bis er vor sich eine größere Kreuzung sah, dahinter in der Ferne Dutzende von Fackeln,in Gruppen in der Finsternis unterwegs. Triumphgeheul, blutrünstige Schreie. Eine mordlustige Meute.
Er schaute zurück. Stefano kam herangetaumelt, von den Jungen umgeben. Als Tannhäuser auf die Kreuzung zuging, sah er auf der anderen Straßenseite jemanden aus einer Gasse huschen.
Der Mann trug keine Perücke und war, obwohl kaum dreißig Jahre alt, so kahlköpfig wie ein Mönch. Bis auf einen einzelnen Schuh war er splitterfasernackt. Tannhäuser überquerte in wenigen Sätzen die Straße, wobei das Geläut der Glocken seine Schritte übertönte. Er sah keine Verbündeten des Flüchtigen. Ein lederner Geldbeutel hing dem Kahlköpfigen um den Hals, und dem Pendeln nach zu urteilen, schien der Inhalt schwer zu sein. Der Mann hatte in der Linken einen langen Dolch, den er wie jemand hielt, der ihn nicht zu benutzen wusste. Als er auf Stefano und die Jungen zu humpelte, fiel Tannhäuser von hinten über ihn her.
Er näherte sich ihm schräg von hinten und packte die Messerhand am Gelenk. Gleichzeitig legte er dem Mann seinen freien Arm um die Schulter und stach ihm den Dolch hinter das Schlüsselbein. Er trieb die Klinge bis zum Heft hinein und spürte, wie das Lebensblut aus dem Mann wich. Ohne ein Zucken oder einen Laut fiel der Leichnam auf die Knie. Tannhäuser hielt ihn mit dem Dolchgriff aufrecht, packte das Lederband der Börse und nahm sie dem Mann vom Hals. Dann zog er ihm den Dolch aus der Brust, ohne dass viel Blut herausspritzte. Nun ließ er den kahlen Schädel in die Gosse gleiten. Mit einer schnellen Bewegung wedelte er das Blut von der Klinge und steckte den Dolch wieder ins Futteral.
Das weiche Leder des Beutels war mit Parfüm getränkt, und Tannhäuser atmete den Duft tief ein. Er erkannte das Gewicht von Goldstücken, ohne nachsehen zu müssen. Er machte den Beutel mit dem dafür vorgesehenen Riemen an seinem Gürtel fest. Er beugte sich herunter, um dem Toten seinen Dolch abzunehmen – aus einer Mailänder Werkstatt, vermutete er, etwa ein Drittel so lang wie ein Schwert und für Kämpfe auf engstem Raum bestens geeignet. Der makellose Stahl, der Knauf aus Lapislazuli und der kleine Seitenring deuteten darauf hin, dass es ein Paradedolch, aber trotzdem noch eine tödliche Waffe war. Mit dem Futteral wäre er so viel wert wie das Gold in der Börse, doch das Futteral war nirgends zu sehen.
Tannhäuser steckte den Dolch hinten in seinen Gürtel, den Griff in Richtung auf seinen linken Ellbogen gerichtet. Er zog noch zwei Ringe von den toten Händen und steckte die Beute mit in den Beutel. Zum ersten Mal schaute er sein Opfer genauer an, dessen Züge jedoch in der Dunkelheit nicht zu erkennen waren.
Fackelschein näherte sich und damit der feste Tritt von Stefanos Stiefeln. Als der Gardesoldat Tannhäuser sah, schüttelte er sich den Schweiß von der Stirn. Orlandu atmete noch. Juste senkte die Fackel, und er und Grégoire starrten auf den Toten, der nackt und blutüberströmt auf die Knie gesunken dalag. Sie sahen, dass Tannhäuser die Börse an seinem Gürtel befestigte.
»Ihr habt ihn beraubt?« fragte Juste.
»Keine Festung ist so stark, dass sie nicht mit Gold erobert werden könnte. Und wir müssen Paris erobern.« Tannhäuser schaute Stefano an. »Ist es noch weit?«
Stefano deutete mit dem Kinn. »Ein bisschen weiter als dieser Aufruhr da hinten.«
Tannhäuser führte sie auf die Kreuzung zu, die etwa hundert Schritt entfernt war. Da hörte er schnelle Schritte hinter sich.
Zwei junge Männer, deren grellbunte Kleidung sie als Adelige auswies, kamen aus der gleichen Gasse gestürmt wie vorhin der kahlköpfige Mann. Beide hatten sich ein Kreuz aus weißem Leinen an die Kappe geheftet. Sie trugen Stoßdegen über der Schulter, die beide nicht mit Blut beschmutzt waren. Sie keuchten und wirkten ängstlich, schöpften aber wieder ein wenig Mut, als sie dem dunklen Tunnel entkommen waren. Sie bemerkten den Leichnam und untersuchten ihn mit wachsender Entrüstung. Dann sahen sie Tannhäuser.
Der ging ruhig weiter.
»He da! Bursche! Wir haben diesen Ketzer verfolgt!«
Tannhäuser ließ sich nicht aufhalten und überlegte, dass dies ein Akt der Gnade war. Die
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