Die Blutnacht: Roman (German Edition)
beiden kamen ihm nachgerannt. Juste packte Grégoires Hand, und die Fackel, die er nun nur noch in einer Hand hielt, schwankte auf Stefanos Kopf zu. Tannhäuser übernahm die Fackel und hielt sie mit der Linken hoch. Die beiden übereifrigen Herren stellten sich ihm in den Weg, immer noch mit den Stoßdegen auf der Schulter, als wäre das die neueste Mode.
»Das war unser Ketzer«, sagte der Kleinere.
»Genau, das stimmt, Georges«, bekräftigte der andere.
Tannhäuser konnte weit und breit keine Zeugen ausmachen. Er trat so nah an die beiden heran, dass ihre Stoßdegen ihnen nichts mehr nützten. Die beiden zuckten zusammen, waren aber zu stolz und zu dumm, um ihm auszuweichen. Sie sahen ganz so aus, als erwarteten sie, dass ihnen die Welt jeden Wunsch bis ins Kleinste erfüllte, weil es bisher nie anders gewesen war.
»Geht mir aus dem Weg.«
Georges starrte Tannhäuser in die Augen, begriff aber nicht, was er da sah.
»Der Ketzer hat Nicolos Dolch gestohlen.« Er deutete auf ein leeres Futteral, das an Nicolos Gürtel baumelte. Nicolo drehte sich freundlicherweise so, dass man es gut sehen konnte. Es war emailliert und mit Silberdraht und Lapislazuli verziert.
»Wir wollen den Dolch zurück«, sagte Georges.
»Der Dolch ist Beute.«
»Jetzt habt Ihr ihn gestohlen.«
»Mit einer höflichen Frage hättet Ihr ihn zurückbekommen. Diese Gelegenheit ist jetzt verstrichen.«
»Und Ihr habt auch das Gold des Ketzers gestohlen.«
»Georges, halte mich nicht länger auf. Mir ist nach Blutvergießen.«
Nicolo sprang gehorsam zur Seite.
»Der Dolch ist nicht wichtig, Chevalier«, wandte Nicolo ein. »Mein verstorbener Vater hat ihn geschenkt bekommen, ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, von wem. Und das Gold gehört uns auch nicht, und wir brauchen es ohnehin nicht, wollen Euch also nicht länger aufhalten …«
Georges hatte keinen so guten Instinkt.
»Wer ist dieser Junge, der so schwarz angezogen und so bleich vor Angst ist?«
Tannhäuser sagte: »Verschwinde, sonst wirst du zerschmettert.«
Georges nahm das Schwert von der Schulter.
»Ich lasse mich nicht von einem Dieb vertreiben.«
Tannhäuser bezweifelte, dass er mehr als eine mutige Geste machen wollte, um seinen Willen durchzusetzen. Aber das waren eben die Gefahren, wenn man bewaffnet durch die Gegend zog und währendeines Massakers mit dem Degen herumfuchtelte. Tannhäuser stieß Georges die flammende Spitze der Fackel in den Mund und trat links neben ihn, wobei er den erbeuteten Dolch aus dem Gürtel zog.
Die Flammen erstickten Georges’ Schreie. Feuerzungen schlugen ihm um die Nase. Brennendes Öl rann ihm über das Kinn und setzte sein Wams in Brand. Er ließ das Schwert fallen und packte die Fackel. Tannhäuser überließ sie ihm. Er stach dem Kerl von der Seite den Dolch schräg in den Hals. Georges wand sich. Er zerschnitt sich die rechte Hand an der scharfen Klinge, die ihm in der Gurgel steckte, schwenkte in der Linken immer noch die brennende Fackel. Tannhäuser schlug ihm die Kappe vom Kopf und packte ihn beim Haar. Er schaute zu Nicolo. Dann schnitt er Georges die Kehle vollends durch. Eine Flut von Blut ergoss sich auf dessen Brust und spritzte bis zu seinen Ohren. Die Fackel fiel zu Boden. Georges sackte zusammen.
Nicolo war wie angewurzelt und starrte stumm auf diesen Alptraum, auf eine Welt, in der er und all seine Titel nichts mehr bedeuteten. Er regte keinen Muskel. Er stieß nur einen dünnen Schrei aus.
»Nicolo, lasst Euer Schwert fallen und gebt dem Jungen da Euren Gürtel! Schnell!«
Nicolo schnallte den Gürtel ab und reichte ihn Grégoire. Tannhäuser trat zu ihm und rammte ihm den Dolch ins Herz. Dann schüttelte er das Blut aus den Rillen der Klinge.
»Grégoire, gib mir das Futteral für diesen Dolch. Lass das Schwert hier liegen.«
Juste sagte: »Ihr habt ihnen keine Chance gegeben.«
»Eine bessere Chance, als sie dir gegeben hätten. Oder deinen Glaubensbrüdern.«
Tannhäuser riss die weißen Leinenkreuze von den Kappen der Toten. Er hob die Fackel wieder auf. Er gab Grégoire und Juste die weißen Kreuze.
»Tragt diese auf der Brust. Sie weisen euch als Diener des Papstes aus. Und du, Juste, bitte Grégoire, dir das Ave Maria beizubringen. Sein Latein ist hervorragend.«
Keiner der beiden Toten hatte zu diesem mörderischen Ausflug eine Geldbörse mitgenommen, die einzige intelligente, wenn auch ärgerliche Entscheidung, die sie getroffen hatten. Tannhäuser nahmdas reich verzierte Futteral von
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