Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
die Burg Friesack in Sicht kam, war sie froh darüber, dass sie die beiden bald wieder los sein würde.
Der Anblick der Burg erschütterte sie. Sie erkannte ihr früheres Zuhause und sah doch, dass es nicht mehr dasselbe war. In der Mauer, gegen die sieben Jahre zuvor Markgraf Friedrichs große Kanone gewütet hatte, klafften noch immer Lücken. Die Trümmer und das Vorfeld der Festung waren mit Birkenschösslingen, Gras, Holunder- und Weißdornbüschen bewachsen. Hedwig wusste, dass dies niemals der Fall gewesen wäre, hätten ihre Eltern hier noch das Sagen gehabt. Ihr Vater hätte befohlen, die Burg wieder wehrhaft zu machen, und ihre Mutter hätte dafür Sorge getragen, dass die Arbeit getan wurde. Nein, die beiden waren nicht mehr hier, doch es war der naheliegendste Ort, um die Suche nach ihnen oder ihren Verwandten zu beginnen.
Richard hatte um ihretwillen nachgeforscht, was mit ihren Eltern geschehen war, nachdem der Markgraf die von Quitzows und deren Verbündete besiegt hatte. Doch die Auskünfte waren ungenau gewesen. Ihr Vater Dietrich sollte mit einigen treuen Anhängern zum Herzog von Stettin entkommen sein und anschließend in ganz Brandenburg Rachefeldzüge und Überfälle unternommen haben. Markgraf Friedrich hatte ihn geächtet und ihm all seinen Besitz entzogen.
Sogar als Kind hatte Hedwig bereits verstanden, warum der Markgraf so gehandelt hatte. Richard hatte ihr erklärt, dass ihr Vater und sein Bruder Johann sich mit allen Mitteln zu den mächtigsten Männern der Mark Brandenburg aufgeworfen hatten, bevor Friedrich von König Sigismund als Markgraf eingesetzt worden war. Viele hatten sie dafür als üble Raubritter beschimpft. Da sie sich Friedrich nicht freiwillig hatten beugen wollen, hatte er gegen sie zu Felde ziehen müssen.
Über den Verbleib ihrer Mutter war noch weniger bekannt als über den ihres Vaters. Gewiss hatte sie ihn nicht begleitet. Hedwig hatte sie als durchsetzungsfähig und stark in Erinnerung, aber für ein Leben an der Seite eines Rechtlosen, zwischen räuberischen Überfällen und Flucht, wäre sie eine zu vollendete Edelfrau gewesen. Zudem hatte sie für einen vierjährigen Sohn und einen Säugling zu sorgen gehabt. Sie musste eine andere Zuflucht gefunden haben.
Und gewiss hatten gewichtige Gründe sie daran gehindert, nach ihrer verschollenen Tochter suchen zu lassen.
Jedenfalls war es das, womit Hedwig sich seit ihrer Zeit beim Köhler immer wieder getröstet hatte.
Ein quäkender Trompetenstoß holte sie unsanft in die Gegenwart zurück. Adam hatte eine Schalmei aus seinem Gepäck gezogen und sich damit im Dorf angekündigt. Die ärmlichen Gebäude lagen verstreut zu Füßen der Burg, und ihr Weg führte sie zwischen ihnen hindurch. Vor allem Kinder und alte Leute kamen aus den Häusern und Gärtchen herbei, um die Spielleute zu begaffen. Hedwig war es unangenehm, von so vielen Menschen gemustert zu werden. Als Adam und Irina vor einem Haus hielten, dessen Tür durch ein Bild mit einem Krug darauf geschmückt war, ergriff sie die Gelegenheit und verabschiedete sich.
Zu ihrem Erstaunen begleitete ein großer Teil der Kinder sie, anstatt bei den Spielleuten zu bleiben. Sie hielten sicheren Abstand von ihr und ihrem Hund und blickten mit großen Augen zu ihr auf.
» Was habt ihr denn? Sehe ich so unheimlich aus?«, fragte sie.
Ein mutiger kleiner, blonder Junge, der nur ein langes Hemd trug und keine Bruch, ging neben dem Klepper einige Schritte rückwärts. » Was seid Ihr denn? Eine Fee?«
» Unsinn. Wie kommst du darauf? Ich bin eine gewöhnliche Sterbliche.«
» Warum tragt Ihr so viele Bögen auf dem Rücken? Und warum habt Ihr so ein großes Pferd? Warum kommt Ihr hierher?«
Hedwig lächelte über die hervorsprudelnde Neugier. Es kam ihr vor, als hätte sie an diesem einzigen Tag bereits mehr Worte gehört als vorher in einem ganzen Jahr. » Es ist gut, mehr als einen Bogen zu haben, falls mir einmal einer zerbricht. Ich wollte keinen davon zurücklassen. Und das Pferd ist groß, weil es eben so ist. Ein anderes besitze ich nicht.«
» Meine Mutter hat keinen Bogen und kein Pferd. Warum habt Ihr das, wenn Ihr auch ein gewöhnliches Weib seid?«
Nach dieser Frage blieb der Junge stehen, weil der Weg zwischen der Umzäunung eines Schweinekobens, einem Schlammloch und der Flechtwand eines Stalles eng wurde. Der Klepper rutschte mit einem Fuß in den tiefen Schlamm, befreite sich mit einem ausgreifenden Satz nach vorn und trabte an. Hedwig hatte Mühe,
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