Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Lebenszeit übertragen worden war. Es sicherte ihm eine komfortable Wartestellung mit viel Einfluss und mindestens ebenso vielen Einnahmen. Diese flossen aus zahlreichen Bistümern und Kommenden; das waren Abteien, deren Erträge nicht mehr den Mönchen, sondern dem Kommendatarabt, meistens einem Nepoten oder einem anderen Kirchenfürsten, zugeleitet wurden. Doch noch mit einem anderen Pfund ließ sich trefflich wuchern.
Calixtus III. war zwar nicht gegen die überzogenen Unternehmungen seiner Nepoten eingeschritten, doch das führte die Kurie im Rückblick auf seine greisenhafte Erschöpfung zurück. Seinen Ruf konnte diese allzu weitreichende Onkelliebe nicht dauerhaft eintrüben. Vielmehr trat sein Ansehen als unermüdlicher Warner und Vorkämpfer gegen das Vorrücken des Islam in Europa in den Vordergrund. In dieser Hinsicht hatte der Papst aus dem Land der Reconquista die in ihn gesetzten Erwartungen voll und ganz erfüllt. Es lag jetzt an seinem Neffen Rodrigo, dieses Prestige für seine eigenen Pläne auszunutzen.
Mit welchen Strategien dieser die Rückeroberung der Macht darüber hinaus betreiben würde, zeichnete sich schnell ab. Um Papst zu werden, setzte Kardinal Rodrigo Borgia auf die finanziellen Ressourcen, die ihm durch seine vielen Ämter und Pfründen zuflossen. Deren Zahl wuchs auch nach dem Ende des ersten Borgia-Pontifikats ständig weiter an. Zum Bistum Valencia, das er von seinem Onkel «geerbt» hatte, kamen weitere einträgliche Diözesen, dazu reich begüterte Kommenden wie das Kloster Santa Scolastica in Subiaco bei Rom, das allein die Lehnshoheit über zweiundzwanzig castelli innehatte, befestigte Hügelorte im Grenzgebiet zwischen Latium und dem Königreich Neapel. Dass sich der Pfründenbestand des ohnehin schon reichen Kardinals unablässig vermehrte, hing mit den Wahlgepflogenheiten im Konklave zusammen. Wer Chancen auf die Nachfolge Petri haben wollte, musste um Stimmen werben, und zwar am besten mit lukrativen Geschenken. Auf diese Weise war Rodrigo Borgia bei der Wahl Sixtus’ IV. im August 1471 zum Kloster Subiaco gekommen, das sich darüber hinaus mit seinem Schloss für stilvolle Sommerferien in kühler Bergluft, abseits der römischen Fieberhitze nutzen ließ.
3. Das Papsttum am Scheideweg
Seine Stimme bei der Wahl von Papst Sixtus IV. hatte Kardinal Rodrigo Borgia eine Abtei mit vielen Burgen und einem stolzen Schloss als Gegenleistung eingebracht. Dieses «Geschenk» zeigt, wie viel sein Votum schon dreizehn Jahre nach dem Tod Calixtus’ III. wert war. Als Vizekanzler hatte Rodrigo Borgia nach dem Papst die meisten Kontakte zu den europäischen Herrschern, die er durch Gewährung von Gnaden gewogen stimmen konnte. Das Geschick, das er bei solchen Geschäften an den Tag legte, wurde an der Kurie rasch legendär. Er verfügte nach einhelligem Zeugnis der Zeitgenossen über eine ungewöhnliche Beredsamkeit, gepaart mit psychologischem Scharfblick und juristischer Sachkenntnis. Das alles machte ihn zu einem Meister in der Kunst des Verhandelns. Allerdings wurden seine dabei erzielten Erfolge nicht nur auf diese Qualitäten, sondern mindestens ebenso sehr auf die Fähigkeit zurückgeführt, sein Gegenüber über seine wahren Absichten zu täuschen und dabei auch den kleinsten Vorteil rücksichtslos auszunutzen. Strenger denkende Zeitgenossen mochten dieses Gebaren missbilligen, doch auch sie mussten einräumen, dass die Kurie solche Kardinäle brauchte. Die gegenwärtigen Zeiten verlangten nach Kirchenfürsten mit politischer Durchsetzungsfähigkeit.
Bei seiner Rückkehr nach Rom im Jahr 1420 hatte Martin V. eine Stadt auf dem Tiefpunkt ihrer Geschichte vorgefunden. Innerhalb des Aurelianischen Mauergürtels, der die antike Millionen-Metropole gegen eine feindliche Außenwelt schützen sollte, lebten nur noch etwa 25.000 Einwohner, und zwar mehr schlecht als recht. Der einzige halbwegs florierende Wirtschaftssektor war der Handel mit dem Vieh, das die Hirten in der weitgehend menschenleeren Umgebung auf den Latifundien der Adelsfamilien und der begüterten Klöster und Kirchen hüteten. Nicht weniger desolat stellte sich die politische Situation dar. In Rom selbst sah sich das Papsttum der Konkurrenz der Stadtgemeinde ausgesetzt, die auf dem Kapitol residierte, sowie der Opposition der mächtigen Baronalfamilien Colonna und Orsini. In den entfernteren Provinzen hatten sich die regionalen Eliten während der Abwesenheit der Päpste in Avignon (1309–1377) und in der
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