Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
doch schon chronisch krank und schwächlich, also potentiell gefügig und lenkbar. Am 28. August 1484 wählte ihn die nötige Zweidrittelmehrheit der Kardinäle, denen der Schrecken über die Kandidatur Barbos noch in den Knochen steckte, als das kleinere Übel zum Papst.
Rodrigo Borgia musste somit einen weiteren Pontifikat abwarten und auf seine unverwüstliche Gesundheit setzen. Innozenz VIII., wie sich das neue Oberhaupt der Kirche nannte, regierte anfangs ganz im Schatten seines mächtigen Protektors Giuliano della Rovere. Doch allmählich gewann der «Schattenpapst» unerwartetes eigenes Profil. Als einziger Pontifex maximus der Zeit hielt er die Wahlkapitulation, die er wie seine Vorgänger vor seiner Erhebung unterschrieben hatte, in einem zentralen Punkt ein: Er ernannte vorerst keine neuen Kardinäle. Damit verzichtete er in auffallendem Gegensatz zu Sixtus IV. darauf, den Senat der Kirche durch personelle Ausdehnung zu schwächen. Auch Innozenz’ Nepotismus hielt sich in Grenzen. Alle Gunst konzentrierte sich auf seinen Sohn Franceschetto Cibo. Dieser wurde zwar, wie üblich, mit Adelstiteln und Lehen überhäuft, doch erhielt er keinen eigenen Staat. Dafür wurde er umso vornehmer verheiratet, nämlich mit einer Tochter Lorenzo de’ Medicis.
Lorenzo der Prächtige beherrschte Florenz schon in der dritten Generation, ohne offiziellen Titel und ohne eigentliches Amt, dafür mit umso mehr diplomatischem Geschick und als Haupt der führenden Familien, die von ihm den Schutz ihrer Privilegien erwarteten. Die Medici aber strebten nach fürstlicher Herrschaft in ihrer Heimatstadt und suchten nach Mitteln und Wegen, diese Verfestigung ihrer Macht in die Wege zu leiten. Die Heiratsallianz mit dem Cibo-Papst bot Lorenzo diese lang ersehnte Gelegenheit: Er gab dem Sohn des Papstes seine Tochter Maddalena zur Frau und erhielt dafür ein Kardinalat für seinen erst dreizehnjährigen zweitgeborenen Sohn Giovanni. Darüber hinaus gewann er durch diese Verschwägerung ab 1488 steigenden Einfluss auf die römische Politik. Diesen nutzte er dazu, das bröckelnde Mächtegleichgewicht in Italien wiederherzustellen und drohende Interventionen von außen abzuwehren. Durch diese defensive Diplomatie stellte sich Lorenzo de’ Medici den Hochrisiko-Strategien entgegen, die vor allem von Ludovico Sforza, dem Herrn von Mailand, ausgingen und auf die Vertreibung König Ferrantes von Neapel abzielten. Mit einer solchen Umwälzung der bestehenden Machtverhältnisse liebäugelten auch die beiden Todfeinde Rodrigo Borgia und Giuliano della Rovere. Als Vertreter zweier Parvenü-Familien konnten sie nur gewinnen, wenn die etablierten Geschlechter verloren.
Das Jahr 1492 machte schließlich für die beiden Konkurrenten den Weg zum finalen Machtkampf frei. Im April starb Lorenzo de’ Medici im Alter von nur dreiundvierzig Jahren. Die Zeit für eine Politik mit Augenmaß war endgültig abgelaufen, als auch Innozenz VIII. Ende Juli das Zeitliche segnete. Für Rodrigo Borgia hieß es im nachfolgenden Konklave «jetzt oder nie». Setzte sich der zwölf Jahre jüngere Giuliano della Rovere durch, konnte er seine Hoffnungen auf den Stuhl Petri begraben. Zünglein an der Waage in diesem Zweikampf war der erst siebenunddreißig Jahre alte Kardinal Ascanio Maria Sforza, der im Auftrag seines Bruders Ludovico die anti-neapolitanische Achse zu stärken versuchte, doch zugleich ehrgeizige eigene Pläne verfolgte. Sein Ziel war es, als «Papstmacher» zu punkten und auf diese Weise den künftigen Papst als «Überpapst» zu dominieren. Die Frage, ob sich gewiefte und skrupellose Machtpolitiker wie Borgia und Della Rovere mit der Rolle als Schattenherrscher zufrieden geben würden, stellte er sich offenbar nicht. Stattdessen setzte er darauf, dass zwölf von dreiundzwanzig Kardinälen auf sein Kommando hörten; diese Zahl von Gefolgsleuten reichte noch nicht zur Wahl, doch ließ sich jeder nicht genehme Kandidat damit mühelos blockieren.
Wem diese Stimmen zugute kommen würden, hatte sich schon in den letzten Regierungsmonaten Innozenz’ VIII. immer klarer abgezeichnet: Rodrigo Borgia. Seine lukrativen Pfründen und seine guten Beziehungen zu Spanien ergänzten sich optimal mit dem politischen Kapital der Sforza. Ascanio Marias Achillesferse war seine permanente Finanzknappheit. Sein Bruder knauserte mit jedem Dukaten, wie Rodrigo Borgia genau wusste. Um ihn noch enger an sich zu binden, versprach er ihm für den Fall seiner Wahl goldene
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