Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Maximalziel, die Eroberung des neapolitanischen Throns, war in weite Ferne gerückt, daher sprach alles dafür, diese Allianz mit Neapel zu schließen. Zwar musste Alexander VI. das Angebot zunächst schweren Herzens ablehnen, da die Sforza ihr Veto einlegten, doch der kluge König Ferrante kannte die Interessen der Borgia, stockte seine Offerten in der Folgezeit systematisch auf und hatte schließlich Erfolg. Schon im Sommer 1493 vereinbarte Alexander VI. mit dem König, dass sein Sohn Jofré die Königstochter Sanchia ehelichen und dazu das Herzogtum Squillace nebst weiteren Lehen erhalten sollte, deren Jahresertrag sich auf stolze 10.000 Dukaten belief. Parallel dazu wurde in Spanien die Eheschließung Giovanni Borgias mit Maria Enriquez von Aragón unter Dach und Fach gebracht. Als Mitgift brachte die Braut das Herzogtum Gandía in die Ehe ein – die spanischen Majestäten hatten dieser Nachfolge endlich zuzustimmen geruht.
Doch hatten die Spanier dem stolzen Vater des Bräutigams zugleich ihr Befremden über seinen Lebensstil und seine Amtsführung zu verstehen gegeben: Ein spanischer Papst, der sich mit blonden Mätressen verlustierte, verdunkelte den Ruhm seiner Nation. Als peinlich moniert wurde überdies seine Abhängigkeit von den Sforza, die ein Menschenalter zuvor noch obskure Söldnerführer gewesen waren.
Diese harsche Kritik war nicht der einzige Preis, den Alexander VI. für das Herzogtum seines Sohnes zu zahlen hatte. Als er 1493 die von Kolumbus neu entdeckte Welt zwischen Spanien und Portugal aufteilte, wurden Isabella und Ferdinand von Spanien um einige Längengrade und damit um riesige Einflusszonen begünstigt. Nicht minder freigebig war der spanische Papst mit kirchlichen Rechten in der «Neuen Welt». Mit der spanischen Unterstützung im Rücken trat Alexander VI. gegenüber der zweiten Großmacht Frankreich mit ungewohnter Entschiedenheit auf. Als eine Gesandtschaft Karls VIII. von Frankreich im August 1493 in schroffen Tönen die Absetzung Ferrantes und die Belehnung ihres Königs mit Neapel forderte, speiste sie Alexander VI. mit leeren Worten ab. Selbst die Drohung, dass der Monarch sein göttlich verbrieftes Recht auch gegen den Papst durchsetzen werde, fruchtete nichts. Um zusätzliche Autorität zu gewinnen, spielte der Papst danach der Öffentlichkeit eine Komödie vor. Ascanio Maria Sforza erhielt den Befehl, unverzüglich seine Wohnung im Vatikan zu räumen! Natürlich war die vermeintliche Entmachtung abgesprochen, und das politische Täuschungsmanöver war allzu durchsichtig angelegt und daher kein Erfolg.
Durchschlagendere Wirkungen hatte ein weiterer Befreiungsschlag, der am 20. September 1493 das Kardinalskollegium aufschreckte: die Erhebung von nicht weniger als zwölf neuen Kardinälen auf einmal! Eine solche Massenernennung stieß, wie vorhersehbar, bei den konservativen Kardinälen auf erbitterten Widerspruch: Dieser Papst verschleuderte die höchste Würde der Kirche als Dutzendware! Dieser Vorwurf mochte moralisch gerechtfertigt sein, politisch betrachtet war er falsch, denn Alexander VI. wusste sehr genau, wem er warum den Purpur verlieh. Dabei dienten alle roten Hüte einem einzigen Zweck: die Stellung der Borgia zu stärken. Ihre Position wurde vor allem durch das Kardinalat gefestigt, das der Papst seinem Sohn Cesare verlieh. Erstaunlicher als diese Ernennung war in den Augen der Zeitgenossen, dass er damit mehr als dreizehn Monate gewartet hatte. Offensichtlich war der zweiundsechzigjährige Borgia-Papst sicher, noch viele Regierungsjahre vor sich zu haben. Hätte er sich getäuscht, wäre die Stellung seiner Familie weder in Italien noch in Spanien längerfristig zu behaupten gewesen. Woher Alexander VI. diese Gewissheit bezog, darüber wurde in Rom viel spekuliert. Er selbst rühmte sich später noch mehrfach seiner von Gott verliehenen Langlebigkeit, doch deckte er die Quellen dieser eigentümlichen Zuversicht nicht auf.
Zusammen mit dem Purpur wurde Cesare die Rolle des Kardinal-Nepoten übertragen; als solcher hatte er nicht nur wichtige «weltliche» Regierungsgeschäfte im Kirchenstaat wahrzunehmen, sondern war auch Anführer der Borgia-Gefolgschaft an der Kurie; besonders wichtig musste diese Rolle im Konklave nach dem Tod seines Onkels werden. Seine Wahl in den Senat der Kirche war also eine Schutzmaßnahme und zugleich eine Rückversicherung. Würde Alexander VI. wider Erwarten in näherer Zukunft das Zeitliche segnen, dann hatten die Borgia
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