Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
wollte und der das, was er für adelige Verhaltensweisen hielt, ins Maßlose übersteigerte.
Psychologisch hat diese Diagnose Machiavellis einiges für sich. Als Sohn eines Kirchenfürsten erlebte Cesare als Kind und Heranwachsender die Welt zwar von oben, doch machte er als «Bastard» eines Priesters ohne Frage auch früh mit verkappter Verachtung und der Arroganz der «echten» Aristokraten Bekanntschaft. Bezeichnenderweise war der spätere Fürst für seine unerbittliche Rache berüchtigt. Jede noch so kleine Beleidigung wurde blutig vergolten. Das war nicht nur ein Teil des Images, sondern auch eine nicht beherrschbare, in entscheidenden Augenblicken kontraproduktive Charaktereigenschaft. Machiavellis Fazit lautete somit, dass Cesare zu Lebzeiten seines Vaters ein formidabler Gegner war, ohne die Unterstützung des Papsttums jedoch zu einem politischen und militärischen Desperado absinken musste.
Im Rückblick von mehr als einem halben Jahrtausend lässt sich dieses Urteil bestätigen und zugleich zuspitzen: Cesare Borgia war während der Regierungszeit Alexanders VI. ein wandelnder Unruheherd der italienischen Politik, doch zu keinem Zeitpunkt war er ein wirklich gewichtiger Machtfaktor. Die vorherrschenden zeitgenössischen und späteren Urteile machen ihn somit zu der am meisten überschätzten Figur der Renaissance.
Es ist bezeichnend für die Hierarchie unter den vier Geschwistern, dass Cesare, der später als Inbegriff des vollendeten Fürsten galt, vom Vater für die geistliche Karriere bestimmt wurde. Schon als Sechzehnjähriger erhielt er auf Fürsprache der katholischen Könige das Bistum Pamplona am Südfuß der Pyrenäen übertragen. Das war ein ganz ungewöhnlicher Gunsterweis für den Sohn eines Kardinals und zeigte nochmals, dass man von diesem in seiner Heimat große Dinge erwartete.
Für Rodrigos Lieblingstochter Lucrezia wurden schon früh profitable Heiratspläne erwogen, verworfen und neu geschmiedet. Als Elfjährige wurde sie einem spanischen Aristokraten versprochen, kurz danach einem Herzog im Königreich Neapel. Am Ende war keine dieser in Aussicht genommenen Allianzen lukrativ genug.
Das jüngste der vier Kinder, Jofré, schließlich wurde vom Vater emotional und instrumental am wenigsten geschätzt und kam zu keinem Zeitpunkt für eine Schlüsselposition des künftigen Borgia-Imperiums in Frage. Stattdessen fiel ihm die nachgeordnete Aufgabe zu, die Stellung der Familie an der Peripherie zu sichern. Zu mehr war Jofré aufgrund seiner bescheidenen Fähigkeiten auch nicht geeignet, doch das galt letztlich auch für Giovanni, den erklärten Liebling des Vaters.
5. Aus Rodrigo Borgia wird Alexander VI.
Als Sixtus IV. am 12. August 1484 starb, glaubte Rodrigo Borgia den Augenblick für das große Comeback gekommen. Mit dreiundfünfzig Jahren stand er an der Schwelle des Greisenalters. Der Tod seines Onkels lag nun mehr als ein Vierteljahrhundert zurück, was einen Pontifikat des Neffen weniger anstößig erscheinen ließ. Zudem gab es hierfür einen Präzedenzfall: Paul II., der Vorgänger Sixtus’ IV., war ein Neffe Eugens IV. gewesen. Rodrigo Borgias Aussichten waren umso günstiger, als sein Hauptgegner, Kardinal Giuliano della Rovere, selbst keine Wahlchancen hatte. Als Chef der Della-Rovere-Partei war es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass eine Kreatur seines Onkels die Nachfolge antrat und seine Anhänger auf diese Weise den Machtwechsel glimpflich, ohne zu herbe Einbußen an Einkommen und Einfluss, überstanden. Die Gegner der della Rovere hingegen lechzten nach einer vollständigen Neuverteilung der Macht; dafür stand Rodrigo Borgia, der nicht mit weitreichenden Versprechungen geizte.
Im Verwirrspiel der Ränke und Finten, das sich daraufhin im Konklave entspann, zog Rodrigo jedoch den Kürzeren. Der geschickten Strategie seines Todfeindes zeigte er sich nicht gewachsen. Giuliano della Rovere nämlich präsentierte mit dem venezianischen Reformkardinal Barbo einen Kandidaten, der die Mehrheit der «politischen» und hedonistisch eingestellten Kardinäle einen rigorosen Kurswechsel der unliebsamen Art befürchten ließ – um sich daraufhin durch die Bedenken einflussreicher Purpurträger «umstimmen» zu lassen und einen zweiten Wahlvorschlag zu machen, den er in Wirklichkeit von vornherein favorisiert hatte: Giovanni Battista Cibo aus Genua. Dieser wenig profilierte Kardinal war ein treuer Parteigänger seiner Familie. Er war zwar erst zweiundfünfzig Jahre alt,
Weitere Kostenlose Bücher