Die Boten des Todes
Häßlichkeit.
Ein Pappsarg, den man mit Wasserfarbe schwarz angemalt und mit Silberbronze
verziert hatte. Eine erbärmliche Attrappe.
Herr van Noringen griff zu und hob den
Deckel hoch. Abermals überfiel ihn der Schreck. Im Sarg lag, behaglich
ausgestreckt, ein kleines Skelett. Es war anatomisch korrekt nachgebildet, auch
aus Pappe, wie Herr Adrian unschwer feststellte, als er sich gesammelt hatte.
Der Ausdruck des hohlen Schädels strahlte eine gewisse Heiterkeit aus. Herr
Adrian wollte das lächerliche Gebilde mit der Faust zertrümmern, aber er hielt
inne. In der rechten knöchernen Pappfaust hielt das Skelett ein Stück Papier.
Es ließ sich mühelos herausziehen. Herr
Adrian las zum zweiten Male in dieser Nacht: MACHEN SIE SICH BEREIT!
Der Satz war mit großen Buchstaben
geschrieben. Sie hatten leider erschreckende Ähnlichkeit mit der Überschrift
des Märchens, das Adrian vorhin gelesen hatte: DIE BOTEN DES TODES. Auch
diesmal fehlte nicht der grobe, rote Strich unter dem Satz. MACHEN SIE SICH
BEREIT!
Adrian wischte mit dem Handrücken über
seine Stirn.
Dann hörte er ein Geräusch. Es kam von
rechts, von Adas Zimmern her.
Er fuhr hoch.
Eine blauweiße Gestalt glitt auf ihn
zu.
Herr Adrian sprang zwei Schritte zurück
und riß die Remingtonflinte an die Achsel. Die Gestalt stieß einen gellenden
Schrei aus. Gerade noch rechtzeitig, bevor Adrian feuerte.
Es war Ada.
Adrian fühlte das Ende seiner
Nervenkraft herannahen. Das Gewehr sank nahezu von selbst herunter.
Ada schrie zum zweitenmal, als sie den
Sarg erblickte. Herr Adrian schleuderte ihn mit einem Fußtritt beiseite und
umfaßte ihre zitternde Gestalt mit dem freien Arm.
»Aber Kindchen! Ich hatte dich
ausdrücklich gebeten...«
Sie brach in Tränen aus. »Ich hatte
solche Angst, Adrian. Ich hörte dich auf dem Flur, und dann kamst du nicht und
da... was ist das für ein schrecklicher Sarg?«
»Pappe«, sagte Herr van Noringen
grimmig. »Alles Pappe. Unser lieber Gast hat ihn vor die Tür gestellt, als ich
drin war und das Gewehr holte. Und das nennen die Leute eine friedliche Gegend!
Hier — dieser freundliche Gruß war auch dabei.«
Ada las den Zettel mit Entsetzen.
»Hast du etwas Verdächtiges gehört in
deinem Zimmer?«
Sie schüttelte den tränenfeuchten Kopf.
»Nur dich! Deine Schritte und die Tür.
Jedenfalls glaubte
ich...«
»Schon gut, mein Kind.« Herr Adrian
warf wilde Blicke in die Runde. »Er muß ganz in der Nähe gewesen sein. Ich
möchte bloß wissen, wer sich solche Scherze mit uns erlaubt. Aber ich finde
ihn, bei Gott, ich werde ihn finden und ihm alle fünfzehn Kugeln in seinen Hin...«Herr
Adrian bemerkte einen leichten Tadel in den nassen Augen seiner Frau und
beschloß, auch in dieser Situation seine Erziehung nicht zu verleugnen.
»Verzeih, Liebling. Ich bin erregt.
Diese Unverfrorenheit empört mich zutiefst.« Herr Adrian ließ seine Frau los
und betupfte sein Gesicht mit dem Taschentuch. Ada bückte sich und betrachtete
den Sarg mit neugierigem Schauder. Das kleine Skelett war herausgefallen. Der
Schädel hatte sich von dem Papprumpf gelöst und lag fröhlich grinsend an der
Wand.
»Es ist ein Skandal, was man sich mit
uns erlaubt!«
Herr Adrian sicherte die Flinte und
straffte seine Gestalt.
»Ich werde jetzt das Haus durchsuchen.
Du wirst zurückgehen auf dein Zimmer, mein Kind. Und diesmal rühre dich nicht
hervor, bis ich zurück bin.«
Ada erhob sich und legte die Arme um
seinen Hals. »Nein, Adrian! Ich lasse dich nicht allein. Auf keinen Fall lasse
ich dich gehen! Ich suche mit!«
»Aber Adalein...«
»Ich bin deine Frau und gehöre an deine
Seite!«
Herr Adrian war gerührt. Nicht nur das.
Er war froh, nicht allein auf die Suche gehen zu müssen. »Aber Ada... ich müßte
nicht nur auf den Eindringling, sondern auch noch auf dich aufpassen... es wird
doppelt schwierig sein...«
»Ich habe auch eine Waffe!«
»So?« fragte Adrian verwundert.
Ada lief den Gang hinunter zu ihrem
Zimmer. Das Nachtgewand wehte um sie herum. Nach kurzer Zeit erschien sie
wieder, in einen silbrig-aschfarbenen Toilettenmantel gehüllt. In der Hand trug
sie einen Revolver von der Größe eines Herrenfeuerzeuges. Er war aus Silber,
mit zisiliertem Lauf und perlmuttbelegtem Griff.
»Hier! Was sagst du nun?«
Herr Adrian lächelte etwas säuerlich.
»Ich fürchte, du wirst ihn dem Eindringling ans Ohr halten müssen, um ihn
mindestens zu erschrecken, meine Liebe. Aber immerhin...«
Herr Adrian erschrak
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