Die Botschaft Der Novizin
Erst jetzt bemerkte Isabella, dass sie keineswegs schlank war, sondern trotz ihrer Jugendlichkeit einen kräftigen Körper besaß. Vermutlich deshalb schmückten sie keinerlei Sorgenfalten, und ihr Teint wirkte straff und jugendlich.
»Hier hat Suor Francesca gehaust? Was ist mit ihr geschehen?« Auch sie flüsterte bereits.
Suor Maria beugte sich vor und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, als wolle sie nicht, dass Isabella darin lesen konnte. Doch Isabella sah sie nicken.
»Sie ist hier gestorben«, sagte Suor Maria. »Diese Nacht. Mein aufrichtiges Beileid.«
Isabella hatte es vermutet und sah jetzt auf ihre Hände, die sie im Schoß gefaltet hatte. Überrascht stellte sie fest, dass ihre Finger der rechten Hand schwarz waren, als hätte sie in Ruß gegriffen. Sie schaute umher, ob sie sich irgendwo die Hände waschen konnte, doch weder ein Stück Stoff noch Wasser oder Seifenlauge standen wie bei ihr zu Hause bereit. Woher nur dieser Schmutz kam? Es war eine Art fettiger, hartnäckiger Ruß, der sich nicht abreiben ließ, sondern abgeschrubbt werden musste.
»Wo kann ich mich waschen?«, fragte sie.
Suor Maria blickte auf und sah Isabella amüsiert an. Die zeigte ihre schmutzigen Finger vor. Die Nonne lachte.
»Du scheinst nicht nur den Geist des Widerstands von draußen mit hereingetragen zu haben, sondern auch den Ruß der Welt. Ich führe dich. Dann musst du ins Priorat.« Die Nonne senkte ihre Stimme. »Die Mutter Oberin wird dir vermutlich verheimlichen wollen, dass deine Tante diese Nacht verstorben ist. Glaub ihr kein Wort. Suor Francesca hat schrecklich ausgesehen, als sei ihr der Gottseibeiuns persönlich erschienen.«
Bevor Isabella noch das Wort an sie richten konnte, schlüpfte Suor Maria aus der Tür und auf den Gang hinaus.
»Woher wisst Ihr das?«, fragte sie in die Leere hinein.
KAPITEL 4 Die Äbtissin empfing sie in ihrem Amtszimmer. Lange musste sie vor einem dunklen Schreibtisch stehen bleiben, bis die ehrwürdige Mutter einen Brief zu Ende gelesen hatte und sich ihr zuwandte. Jetzt, da die Priorin nicht mehr neben ihr saß, gelang ihr sogar ein Lächeln. Ihr Gesicht, von Runzeln durchzogen, wirkte dabei wie ein zu lange gelagerter Lederapfel. Doch Isabella hatte das Gefühl, die Ordensfrau wollte sie nicht täuschen und meinte es ehrlich.
Vom Kirchturm her erklang die Morgenglocke und läutete zur achten Stunde seit Mitternacht.
Das Priorat schüchterte ein. Ganz in dunklem Holz gehalten, drückten zwei schwere Dokumentenschränke in den Raum. Die Wucht des Schreibtischs, hinter dem die Äbtissin ein wenig verloren wirkte und beinahe verschwand, ließ empfindsame Gemüter zurückschrecken. Nur die schiere Größe des Raums hielt dagegen.
»Kind«, begann die Nonne und ließ Isabella stehen, obwohl vor
dem üppigen Sekretär ein leerer Stuhl stand. »Du wirst deine
Tante in der nächsten Zeit leider nicht sehen können. WirFrauen im Dienst der Kirche werden immer wieder gebraucht. Wir sind Pflegerinnen des Körpers und oftmals auch der Seele. Auf Torcello, wo unser Orden mit San Giovanni Evangelista eine Niederlassung besitzt, wütet eben eine Krankheit – und Suor Francesca wurde dorthin geschickt, um zusammen mit vier weiteren Schwestern die Pflege zu übernehmen. Es wird also eine ganze Weile dauern, bis sie zurückkehrt. Sie hat dir hier diesen Brief geschrieben, damit du nicht allzu sehr beunruhigt bist über ihre Abwesenheit. Ich sollte ihn dir aushändigen.« Suor Immacolata schob ein gefaltetes Schreiben über den Tisch. Das Siegelwachs war erbrochen, das Papier geöffnet worden.
»Aber. Ihr habt ihn ja ... gelesen!«, fuhr sie die Oberin an und verschloss dann mit der Hand den Mund, weil sie selbst bemerkte, wie unziemlich dies war.
»Es ist die Pflicht der Äbtissin, über alle Vorgänge im Kloster Bescheid zu wissen. Briefe, die ein-und ausgehen, werden von mir gelesen, wenn sie Verwandten zugedacht sind.«
Isabella blieb nichts weiter übrig, als sich dem zu beugen. Schließlich konnte sie sich nicht dagegen wehren. Was sie im Moment jedoch stärker beunruhigte, war die Tatsache, dass die Äbtissin sie belog. Mit eigenen Augen hatte Isabella ihre Tante in ihrem hölzernen Sarg liegen sehen. Gleichzeitig hämmerte immer wieder Suor Marias Warnung in ihrem Kopf: »Glaub ihr kein Wort!« Allerdings hätte sie zu gerne eine Erklärung für diesen Satz bekommen. Doch Suor Maria hatte sie hierher begleitet und dabei kein Wort mehr gesprochen. Jetzt wartete sie vor der
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