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Die Botschaft Der Novizin

Die Botschaft Der Novizin

Titel: Die Botschaft Der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
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Außerdem verströmte die Leiche einen Geruch nach Feuchtigkeit, nach abgestandenem Wasser. Ein aufmerksamer Blick auf das Habit zeigte einen Schmutzrand, der offenbar ganz umlief. Wie war dieser zustande gekommen?
    Das Gesicht, das vor kurzem noch in einem verkrampften Ausdruck verharrt hatte, löste sich und verfiel. Die Mimik wurde, wie Vater einmal bemerkt hatte, friedlich. Doch es war nicht der Friede, der in diese Gesichter einzog, es war die Leere. Die rechte Wange zeigte deutlich zwei schwarze Streifen. War sie sich mit der rußigen Hand übers Gesicht gefahren? Aber warum?
    Am Hals war das Habit eingerissen, als hätte jemand versucht, der Tante die Kutte auszuziehen, sie jedoch nicht über den Kopf stülpen können. Der Riss war frisch, denn Waschmittel oder Alter hätten die Faser stärker ausgefranst und eingedunkelt. Am meisten verblüffte Isabella der violette Druckring am Hals. Und von einem zum anderen Augenblick überkam sie eine schreckliche Ahnung: Hatte die Tante sich womöglich einen Strick um den Hals gelegt und sich irgendwo in diesem Kloster erhängt? Womöglich, weil sie es nicht ertragen hatte, die Nichte ebenfalls in diese Falle gelockt zu haben?
    Isabella starrte die Tote aus weit offenen Augen an. Das würde bedeuten, dass man sie nicht in geweihter Erde würde begraben können. War der Äbtissin deshalb der Ausweg mit Torcello eingefallen?
    Isabella ließ den Blick noch einmal über den Leichnam ihrer Tante gleiten. Auf dem Stoff der Brust lag etwas, das sie zuvor nicht dort gesehen hatte. Isabella trat mit Herzklopfen einen Schritt näher und entdeckte mitten auf der Brust der Toten einen silbernen Knopf. Über ihm hatte zuvor noch der Arm mit der geschlossenen Hand geschwebt. Zuerst begriff Isabellanicht, doch dann erkannte sie die Zusammenhänge: Die Leichenstarre hatte die Hand gelöst und den Knopf freigegeben, der schließlich herausgefallen war. Dann war der Arm abgesunken. Wem gehörte dieser Knopf?
    Hinter ihr quietschte es. Unendlich langsam wurde der Türgriff gedrückt. Isabella erschrak. Sie sah sich um. Es gab kein Versteck in dieser Kapelle. Einer bloßen Eingebung folgend nahm Isabella rasch den Knopf an sich und steckte ihn zu dem Brief in ihren Ärmel.
    Dann drehte sie sich um und erwartete die Person. Die Tür wurde langsam aufgedrückt. Der Kopf Suor Marias erschien. »Habe ich es mir doch gedacht«, flüsterte sie und betrat den Raum. »Du darfst hier nicht sein!«
    Trotzig stampfte Isabella mit dem Fuß auf. »Warum? Meine Tante liegt hier aufgebahrt. Und die Mutter Oberin hat mich belogen! Sie sagte, Suor Francesca sei nach Torcello geschickt worden!«
    Suor Maria legte einen Finger auf den Mund. »Nicht so laut. In diesem Kloster haben die Wände Ohren. Es scheint, als würden sie die Botschaften noch wochenlang mit sich tragen und den Ältesten zur rechten Zeit zuflüstern.«
    »Woran ist sie gestorben? Hat sie sich ...« Isabella wollte den Satz nicht beenden. Allein das ausgesprochene Wort kam einer Verurteilung gleich.
    Die Nonne vor ihr hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Signora Artella hat sie gefunden, nachdem deine Tante heute Morgen nicht zur Matutin gekommen ist. Das war, kurz bevor du in San Lorenzo eintrafst.«
    Isabella wollte etwas antworten, doch ein Geräusch vor der Tür ließ beide Frauen hochschrecken. Zwei Nonnen unterhielten sich. Sie waren in einen heftigen Wortwechsel verwickelt, der offenbar verhinderte, dass sie sich sofort in die Kapelle begaben. An einem heiligen Ort stritt man nicht.
    »Komm«, zischte Suor Maria. »Wir müssen uns verstecken!«
    »Wo sollen wir denn hin?« Isabella wies mit ausgestreckten Armen in die Runde.
    »Das wirst du gleich sehen. Schließlich habe ich mit deiner Tante dieses Gemäuer bis zum letzten Stein erforscht.«
    Suor Maria nahm Isabella an der Hand und lief zum Chor hinüber. Der Altar war ein einfacher Tisch, über dem ein Bild aufragte: das Martyrium des heiligen Lorenzo, der in Rom bei lebendigem Leibe auf einem Gitter geröstet worden war. Isabella schauderte bei dem Gedanken an diesen qualvollen Tod. Zwischen Altartisch und Wand öffnete sich ein schmaler Spalt. Dort hinein schob Suor Maria die Novizin und schlüpfte hinterher. »Unsere Beine kann man nicht sehen, denn das Altartuch reicht bis zum Boden«, erklärte sie. Der Raum hinter dem Altarbild war eng und schmutzig, voller Spinnweben und Putz-und farbiger Kalkbrocken. Beide Frauen versuchten, ihren Atem zu beruhigen, denn in diesem

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